Garp und wie er die Welt sah
an, dass es ihn nichts
angehe, dass ihr Mann ihr vollauf genüge und dass sie ohnehin einige Nummern zu
groß für ihn sei. Sie sagte vielmehr, für das, was er vorhabe, hätte er sich
einfach für einen Sitzschein einschreiben sollen. Worauf er antwortete, er sei
gern bereit, das zu tun. Worauf sie erwiderte, es gäbe im zweiten Semester
prinzipiell keine Sitzscheine.
Sie wusste, dass sie ihn nicht
gänzlich entmutigt hatte, aber sie hatte ihn auch nicht unbedingt ermutigt.
Michael Milton redete eine Stunde lang ernsthaft mit ihr – über das Thema ihres
Erzählseminars. Er sprach sehr eindrucksvoll über Die Wellen und Jakobs Zimmer von Virginia Woolf, weniger
glanzvoll jedoch über deren dritten Roman, Die Fahrt zum
Leuchtturm, und Helen merkte, dass er nur so tat, als ob er den vierten
Roman, Mrs. Dalloway, gelesen hätte. Als er ging,
musste sie dem Urteil ihrer beiden Kollegen über Michael Milton zustimmen: er
war gewandt, er war blasiert, er war aalglatt und insgesamt unsympathisch; aber
darüber lag eine dünne Schicht Klugheit, so oberflächlich und fadenscheinig sie
auch sein mochte – und die war auch irgendwie
unsympathisch. Was Helens Kollegen übersehen hatten, war sein kühnes Lächeln
und seine nonchalante Art, sich so zu kleiden, dass es wirkte, als wäre er
nackt. Aber Helens Kollegen waren Männer; man durfte von ihnen nicht erwarten,
dass sie die Kühnheit von Michael Miltons Lächeln ebenso genau evaluieren
konnten wie Helen. Für Helen war es ein Lächeln, das ihr sagte: Ich kenne Sie
bereits, und ich weiß alles, was Sie gern haben. Es war ein unverschämtes
Lächeln, aber es reizte sie; sie [438] wollte es von seinem Gesicht wischen. Ein
Mittel, mit dem sie es wegwischen konnte, würde darin bestehen, Michael Milton
zu demonstrieren, dass er sie – oder das, was sie wirklich gern hatte – nicht kannte.
Sie wusste auch, dass ihr nicht
allzu viele verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung standen, es ihm zu
demonstrieren.
Als sie auf der Heimfahrt den
Volvo in den ersten Gang schaltete, bohrte sich die Spitze des unbedeckten
Schalthebelschafts tief in ihren Daumenballen. Sie wusste genau, wo Michael
Milton den Knauf hingelegt hatte – auf die Fensterbank über dem Papierkorb, wo
der Hausmeister ihn finden und wahrscheinlich fortwerfen würde. Es sollte so
aussehen, als müsste er fortgeworfen werden. Helen
fiel ein, dass sie der Autowerkstatt noch nicht die kleinen Zahlen durchgegeben
hatte. Das würde bedeuten, dass entweder sie oder Garp bei der Werkstatt
anrufen und versuchen mussten, ohne die
gottverdammten Zahlen einen neuen Knauf zu bestellen – das Baujahr und Modell
des Autos angeben und so fort, um dann unweigerlich einen Knauf zu bekommen,
der nicht passte.
Aber sie beschloss, nicht zur
Universität zurückzufahren. Und sie hatte schon genug im Kopf – auch ohne daran
zu denken, dass sie den Hausmeister anrufen und ihm sagen musste, er solle den
Knauf nicht fortwerfen. Außerdem war es vielleicht schon zu spät. Und im
Übrigen, dachte Helen, bin ich nicht allein schuld. Garp ist auch schuld. Oder,
dachte sie, im Grunde ist niemand schuld. So was passiert eben.
[439] Aber sie fühlte sich nicht ganz schuldlos; noch nicht. Als Michael Milton ihr seine
Referate zu lesen gab – seine alten Referate, von seinen früheren Seminaren –,
nahm sie sie und las sie, weil das wenigstens einen zulässigen, noch harmlosen
Gesprächsstoff bot: seine Arbeit. Als er mutiger wurde und anhänglicher und ihr
sogar seine schriftstellerischen Arbeiten zeigte,
seine Kurzgeschichten und erbärmlichen Gedichte über Frankreich, meinte Helen
immer noch, ihre langen Gespräche stünden im Zeichen einer kritischen,
konstruktiven Lehrer-Schüler-Beziehung.
Sie fand nichts dabei, mittags
mit ihm zu essen; sie konnten dabei über seine Arbeit sprechen. Möglicherweise wussten beide, dass seine Arbeiten nicht so besonders
waren. Doch Michael Milton war jedes Gesprächsthema
recht, solange er mit Helen zusammen sein konnte. Helen dagegen fürchtete sich
vor dem, was unweigerlich bevorstand – wenn ihm schlicht die Arbeiten
ausgingen, wenn sie beide alle seine Referate und jedes Buch, das sie beide
kannten, besprochen hätten. Sie wusste, dass dann ein neues Thema anstand. Und
sie wusste auch, dass dies allein ihr Problem war –
weil Michael Milton bereits klar war, was das unvermeidliche Thema zwischen
ihnen sein würde; weil er auf seine blasierte, irritierende Art darauf wartete,
dass sie
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