Garp und wie er die Welt sah
Helen in Wahrheit recht hatte: seit der
Begegnung mit dem Schnurrbartjüngling hasste Garp alle Schnurrbartträger. Der
Schnurrbartjüngling hatte Garp für immer gegen Schnurrbärte eingenommen.
Helen mochte auch die Länge von
Michael Miltons gelockten blassblonden Koteletten; Garps Koteletten reichten
nur bis zur Höhe seiner dunklen Augen, unmittelbar unter dem oberen Ohransatz,
während er sein dichtes, widerspenstiges Haar immer lang genug wachsen ließ, um
das von Bonkers angeknabberte Ohr zu bedecken.
Helen merkte auch, dass die
Verschrobenheiten ihres Mannes ihr auf die Nerven zu gehen begannen. Vielleicht
fielen sie ihr jetzt auch einfach mehr auf, seit er in seiner Schreibblockade
steckte. Vielleicht hätte er, wenn er [432] schrieb, weniger Zeit für seine
Verschrobenheiten? Egal warum, sie gingen ihr auf die Nerven. Und sein
Einparktick ganz besonders. Dieser entsprach so gar nicht dem ständig in Sorge
um seine Kinder lebenden Vater, der nichts so sehr fürchtete wie rücksichtslose
Fahrer und ausströmendes Gas. Trotzdem hatte Garp eine halsbrecherische Art, im
Dunkeln die Einfahrt zur Garage hinaufzufahren, die Helen zu Tode erschreckte.
Die steile Einfahrt bog scharf
von einer langen, abschüssigen Straße ab. Wenn Garp wusste, dass die Kinder im
Bett waren und schliefen, stellte er den Motor und die Scheinwerfer ab und rollte die dunkle Einfahrt im Leerlauf hinauf; dazu
sammelte er auf der abschüssigen Straße genügend Schwung, um über die Schwelle
am oberen Ende der Einfahrt zu rumpeln und dann in die dunkle Garage
hinunterzurollen. Er behauptete, er tue das, damit der Motor und die
Scheinwerfer die Kinder nicht weckten. Dabei musste er den Wagen ohnehin wieder
anlassen und wenden, wenn er die Babysitterin nach Haus fuhr; Helen sagte, sein
Einparktick sei nichts als ein Kitzel, infantil und gefährlich. Immer wieder
fuhr Garp dabei über liegengebliebene Spielsachen und krachte in Fahrräder, die
nicht dicht genug an der Rückwand der Garage abgestellt waren.
Einmal hatte sich eine
Babysitterin bei Helen beschwert, sie hasse es, mit abgestelltem Motor und
nicht eingeschalteten Scheinwerfern die Einfahrt hinunterzurollen (noch so ein Tick, bei dem er erst unmittelbar vor dem
Abbiegen in die Straße die Kupplung betätigte und die Scheinwerfer
einschaltete).
Bin ich jetzt vielleicht
diejenige, die rastlos ist?, fragte [433] sich Helen. Sie hatte sich nicht für
rastlos gehalten, bis sie an Garps Rastlosigkeit
dachte. Und wie lange hatte sie sich schon über Garps Angewohnheiten und Ticks
geärgert? Sie wusste nur, wann sie gemerkt hatte,
dass sie sich darüber ärgerte, nämlich seit sie Michael Miltons Fragebogen
gelesen hatte.
Helen war im Volvo unterwegs
zur Universität und überlegte, was sie dem unverschämten und eingebildeten
Jungen sagen sollte, als sich der Knauf des Schalthebels löste – und der
freiliegende Schaft ihr Handgelenk aufkratzte. Fluchend fuhr sie den Wagen an
den Bordstein, um den Schaden an sich und an der Gangschaltung zu untersuchen.
Der Knauf fiel seit ein paar
Wochen immer wieder ab – das Gewinde war ausgeleiert, und Garp hatte vergebens
versucht, den Knauf mit Klebeband auf dem Schaft zu befestigen. Helen hatte
sich über die idiotische Reparaturmethode ihres Mannes beschwert, aber der wies
die Beschwerde zurück mit der Begründung, er sei nun mal unpraktisch veranlagt
und die Instandhaltung des Autos eine von Helens häuslichen Pflichten.
Diese Arbeitsteilung war, obwohl
einvernehmlich getroffen, manchmal etwas verwirrend. Garp war zwar der
Hausmann, aber Helen bügelte (»weil«, wie Garp sagte,» du Wert auf gebügelte Blusen legst«), und Helen ließ auch
das Auto warten (»weil«, wie Garp sagte, » du jeden
Tag fährst und daher am besten weißt, wenn etwas kaputt ist«). Helen war mit
dem Bügeln einverstanden, fand aber, dass Garp sich um das Auto kümmern sollte.
Sie ließ sich ungern in dem schmutzigen Lieferwagen der Werkstatt von [434] irgendeinem
jungen Mechaniker zur Uni fahren, zumal wenn der beim Fahren die gebotene
Vorsicht vermissen ließ. Zwar konnte sie sich über den Service nicht beklagen,
aber sie hielt sich ungern dort auf, und das Getue, wer sie zur Arbeit fahren durfte, wenn sie den Volvo hingebracht hatte, war ihr
allmählich unerträglich. »Wer hat eben Zeit, Mrs. Garp zur Uni zu fahren?«,
rief der Meister in das dumpfe, ölige Dunkel der Wartungsgruben. Worauf mehrere
beflissene, ölverschmierte junge Männer
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