Garp und wie er die Welt sah
machen einen kleinen Spaziergang mit Nicky«, sagte sie zu
ihm. Sie war eine tatkräftige, praktische Frau, und Hope mochte sie sehr. Sie
ging fünfmal am Tag aus dem Haus; sie war immer gerade dabei, irgendetwas zu
beenden. Zweimal im Jahr meldete sie ihr Telefon ab und meldete es wieder an;
es war so wie für manche Leute der Versuch, das Rauchen aufzugeben. Margot
hatte auch Kinder, aber sie waren schon älter – sie waren den ganzen Tag in der
Schule –, und sie passte oft auf Nicky auf, damit Hope allein etwas unternehmen
konnte. Dorsey Standish betrachtete Margot als etwas Selbstverständliches; er
wusste zwar, dass sie ein freundlicher und großherziger Mensch war, aber das
waren [576] keine Eigenschaften, die seine Aufmerksamkeit sonderlich fesselten.
Margot, das wurde ihm jetzt bewusst, war auch nicht sonderlich attraktiv. Sie
war sexuell nicht attraktiv, dachte er, und ein
Gefühl der Bitterkeit stieg in Standish auf. Er dachte, dass niemand je
versuchen würde, Margot zu vergewaltigen – während Hope eine schöne Frau war,
das sah jeder. Jeder würde sie begehren.
Dorsey Standish irrte sich
gründlich; er wusste nicht, dass bei Vergewaltigungen das Opfer kaum je eine
Rolle spielt. Irgendwann haben Menschen schon nahezu allen erdenklichen Wesen
Sex aufzuzwingen versucht. Ganz kleinen Kindern, sehr alten Menschen, sogar
toten Menschen; auch Tieren.
Inspektor Arden Bensenhaver, der
eine Menge über Vergewaltigungen wusste, verkündete, dass er mit seiner Arbeit
fortfahren musste.
Bensenhaver fühlte sich
wohler, wenn viel freier Raum um ihn herum war. Seine erste Anstellung war die
Nachtschicht in einem Streifenwagen gewesen, der auf der alten Route 2 zwischen
Sandusky und Toledo kreuzte. Im Sommer war es eine Straße mit vielen Kneipen
und kleinen, selbstgemalten Schildern, die alles versprachen: BOWLING! POOL-BILLARD! RÄUCHERFISCH! UND LEBENDE KÖDER! Und Arden Bensenhaver pflegte langsam über Sandusky Bay und am Eriesee entlang
noch Toledo zu fahren und darauf zu warten, dass ihm die betrunkenen
Wagenladungen von Teenagern und Fischern auf der unbeleuchteten, zweispurigen
Straße entgegenkamen und Mutprobe spielten. Später, als er Polizeichef von
Toledo war, war Bensenhaver tagsüber [577] diese am Tag harmlose Strecke
entlanggefahren. Die Köderläden und Bierkneipen und Schnellrestaurants sahen
bei Tageslicht so exponiert aus. Es war, als schaute man zu, wie sich ein einst
gefürchtetes Großmaul zum Kampf entkleidete; man sah den dicken Hals, die
feiste Brust, die Arme ohne Handgelenke – und dann, wenn das letzte Hemd
ausgezogen war, sah man den jämmerlichen, hilflosen Wanst.
Arden Bensenhaver hasste die
Nacht. Bensenhavers großes Anliegen bei der Stadtverwaltung von Toledo war eine
bessere Straßenbeleuchtung samstags nachts. Toledo war eine Arbeiterstadt, und
Bensenhaver war der Meinung, wenn die Stadt es sich leisten könnte, sich
samstags nachts hell zu beleuchten, würde die Hälfte der Messerstechereien und
Schlägereien – der allgemeinen physischen Gewalt – aufhören. Aber in Toledo
hatte man den Vorschlag nicht sehr helle gefunden. In Toledo fand man Arden
Bensenhavers Vorschläge so schwach, wie man seine Methoden zweifelhaft fand.
Jetzt lockerte sich Bensenhaver
in der Weite dieser Landschaft. Er hatte eine Perspektive der gefährlichen
Welt, wie er sie sich immer gewünscht hatte: Er kreiste in einem Hubschrauber
über dem flachen, freien Land – hoch oben, der distanzierte Beobachter, der
sein überschaubares, gutbeleuchtetes Königreich beobachtet. Der County-Deputy
sagte zu ihm: »In der ganzen Gegend hier gibt es nur einen Wagen, der türkisgrün ist. Er gehört den verdammten Raths.«
»Raths?«, fragte Bensenhaver.
»Es ist eine ganze Sippe«, sagte
der Deputy. »Ich hasse es, dort rauszufahren.«
[578] »Warum?«, fragte Bensenhaver;
er beobachtete, wie der Schatten des Hubschraubers unter ihm einen Bach überquerte,
dann eine Straße, dann an einem Maisfeld und einem Sojabohnenfeld entlangglitt.
»Sie sind alle komisch«, sagte
der Deputy. Bensenhaver sah ihn an – ein junger Mann, pausbäckig und mit
Schweinsäuglein, aber nett; seine langen Haare hingen in einem Schopf unter
seinem engen Hut hervor und reichten ihm fast bis auf die Schultern.
Bensenhaver dachte an all die Footballspieler, denen die Haare unter ihren
Helmen hervorquollen. Sie könnten sie zu einem Zopf flechten, wenigstens manche von ihnen, dachte er. Jetzt sahen sogar
Männer des
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