Garp und wie er die Welt sah
der
Krankenstation herum und hielt zärtlich einen Lacrosseschläger in seinen
knochigen Händen. Man hatte ihn aus dem Weg geschafft und im vierten Stock des
Nebengebäudes sich selbst überlassen, weil er die enervierende Angewohnheit
hatte, einen Lacrosseball quer durchs Zimmer zu schlagen und von der Wand
abprallen zu lassen. Dann fing er den harten hüpfenden Ball mit dem [63] Drahtgeflecht
am Ende seines Schlägers auf und knallte ihn wieder an die Wand. Jenny hätte
dem ein Ende machen können, aber sie hatte selbst einen Sohn und wusste, dass
Jungen das Bedürfnis haben, sich stumpfsinnig der immergleichen Bewegung
hinzugeben. Es schien sie zu entspannen, wie Jenny beobachtet hatte – ob sie
nun fünf waren, wie Garp, oder siebzehn, wie Hathaway.
Aber es machte sie wütend, dass
Hathaway so ungeschickt mit seinem Lacrosseschläger umging und seinen Ball
ständig verlor! Sie hatte sich dazu durchgerungen, ihn in ein Zimmer zu legen,
wo andere Patienten sich nicht über das Bummern beschweren würden, aber nun
klingelte Hathaway jedes Mal, wenn er seinen Ball verlor, damit jemand kam und
ihn aufhob. Es gab zwar einen Fahrstuhl, doch der vierte Stock des
Nebengebäudes lag weitab vom Schuss. Als Jenny sah, dass der Fahrstuhl besetzt
war, ging sie die vier Treppen zu schnell hinauf und war nicht nur zornig,
sondern auch außer Atem, als sie Hathaways Zimmer erreichte.
»Ich weiß, was dir dieses Spiel bedeutet, Hathaway«, sagte Jenny, »aber Garp ist
verschwunden, und ich habe jetzt wirklich keine Zeit, deinen Ball zu suchen.«
Hathaway war ein freundlicher,
langsam denkender Junge mit einem schlaffen, haarlosen Gesicht und einer nach
vorn fallenden rotblonden Tolle, die das eine seiner wässerigen Augen halb
verdeckte. Er hatte die Angewohnheit, den Kopf nach hinten zu kippen,
vielleicht um unter seinen Haaren hervorschauen zu können, und aus diesem Grund
sowie wegen der Tatsache, dass er sehr groß war, blickte jeder, der Hathaway
ansah, in seine weiten Nasenlöcher.
[64] »Miss Fields?«, sagte er.
Jenny fiel auf, dass er seinen Lacrosseschläger nicht in den Händen hielt.
»Was ist, Hathaway?«, fragte Jenny. »Es tut mir leid, ich habe es eilig… Garp ist
verschwunden. Ich suche Garp. «
»Oh«, sagte Hathaway. Er sah sich
im Zimmer um – vielleicht nach Garp –, als hätte ihn gerade jemand um einen
Aschenbecher gebeten. »Das tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte Ihnen suchen
helfen.« Er starrte hilflos auf seine beiden Gipsbeine.
Jenny pochte auf eines seiner
vergipsten Knie, als klopfte sie an eine Tür, hinter der womöglich jemand
schlief. »Mach dir bitte keine Gedanken«, sagte sie. Sie wartete darauf, dass
er ihr sagte, was er wollte, aber Hathaway schien vergessen zu haben, dass er
nach ihr geklingelt hatte. »Hathaway?«, fragte sie und klopfte wieder an sein
Bein, um zu sehen, ob jemand zu Hause war. »Was wolltest du? Hast du deinen
Ball verloren?«
»Nein«, sagte Hathaway. »Ich habe
meinen Schläger verloren.« Unwillkürlich sahen sie
beide sich einen Moment lang in Hathaways Zimmer nach dem verschwundenen
Lacrosseschläger um. »Ich habe geschlafen«, erklärte er, »und als ich
aufgewacht bin, war er weg.«
Jenny dachte zuerst an Meckler,
die Nervensäge im zweiten Stock des Nebengebäudes. Meckler war ein genialer
Spötter, der jeden Monat mindestens vier Tage auf der Krankenstation
verbrachte. Er war sechzehn, Kettenraucher, machte die Schülerzeitung an der
Steering School und hatte schon zweimal den jährlichen Klassikerpokal gewonnen.
Meckler verabscheute das Essen im Speisesaal. Er lebte von Kaffee und
Spiegeleiersandwiches von Buster’s Snack [65] and Grill, wo er auch die meisten seiner langen und lang verspäteten, aber erstklassigen
Semesterarbeiten schrieb. Er brach jeden Monat zusammen und kam auf die
Krankenstation, um sich von seiner physischen Selbstzerstörung und seiner
Genialität zu erholen – und dort die abscheulichsten Streiche zu ersinnen, die
Jenny ihm jedoch nie ganz zweifelsfrei nachweisen konnte. Einmal schwammen
gekochte Kaulquappen in der Teekanne für die Laborassistentinnen, was man
entdeckte, nachdem die sich prompt über den fischigen Beigeschmack beschwerten,
und einmal hatte Meckler – da war sie sich absolut sicher – ein Präservativ mit
Eiweiß gefüllt und es über den Türknauf ihrer Wohnung gezogen. Sie wusste nur
deshalb, dass es Eiweiß gewesen war, weil sie später die Schalen gefunden hatte – in ihrer Handtasche.
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