Garp und wie er die Welt sah
dass an strategischen Punkten entlang des
Flussufers Kanonen in Stellung [100] gebracht wurden, um die Briten, die, wie man
vermutete, von der Great Bay den Fluss heraufgesegelt kommen würden, von einem
Angriff abzuschrecken – einem Angriff, der nie kam. Der Fluss hieß damals Great
River, doch nach dem Krieg wurde er Steering River genannt, und der Ort, der
keinen richtigen Namen hatte – sondern immer nur The Meadows genannt worden
war, weil er in einem Gebiet von Salz- und Süßwassersümpfen nur wenige Meilen
landeinwärts lag –, wurde ebenfalls Steering genannt.
Viele Familien in Steering lebten
vom Schiffsbau oder vom Handel mit Waren, die per Schiff den Fluss heraufkamen;
solange der Ort The Meadows genannt wurde, war er ein Binnenhafen gewesen. Doch
neben seinem Wunsch, eine Akademie für Knaben zu gründen, hatte Everett
Steering seiner Familie auch mitgeteilt, dass Steering nicht mehr lange ein
Hafen sein würde. Der Fluss ersticke am Schlick.
Sein Leben lang hatte Everett
Steering, soweit man wusste, immer nur einen Witz erzählt, und er hatte ihn nur
seiner Familie erzählt: Es sei ein Witz, dass der einzige nach ihm benannte
Fluss voll Schmutz sei – und es mit jeder Minute mehr werde. Das Land sei
nichts als Sumpf und Wiesen, von Steering bis zum Meer, und sofern die Leute
nicht zu dem Schluss kämen, dass es sich lohnte, Steering als Hafen zu erhalten
und ein tieferes Bett für den Fluss auszubaggern, dann würde schließlich selbst
ein Ruderboot Mühe haben, von Steering bis zur Great Bay zu gelangen (wenn die
Flut nicht gerade sehr hoch war). Everett wusste all das. Everett Steering
wusste, dass eines Tages die Flut das Flussbett von seinem Haus bis hin zum
Atlantik mit Schlick füllen würde.
[101] Im nächsten Jahrhundert waren
die Steerings so weise, ihren Lebensunterhalt auf die Spinnerei und Weberei zu
gründen, die sie über dem Süßwasserzufluss des Steering River errichteten. Zur
Zeit des Bürgerkriegs waren die Steering Mills der einzige Gewerbebetrieb in
der Stadt Steering am Steering River. So stieg die Familie von Schiffen auf
Tuch um, als die Zeit reif war.
Eine andere Schiffsbauerfamilie
in Steering hatte nicht so viel Glück: Ihr letztes Schiff schaffte nur den
halben Weg von Steering zum Meer. In einem einst berüchtigten Teil des Flusses,
»der Blinddarm« genannt, blieb das letzte in Steering gebaute Schiff für immer
im Schlamm stecken, und noch jahrelang konnte man es von der Straße aus sehen,
wie es bei Flut halb aus dem Wasser ragte und bei Ebbe auf dem Trockenen saß.
Kinder spielten darin, bis es plötzlich Schlagseite bekam und einen Hund
zermalmte. Ein Schweinezüchter namens Gilmore barg die Schiffsmasten und zog
damit seine Scheune hoch. Und zu der Zeit, als der junge Garp die Steering
School besuchte, konnte die Schulmannschaft ihre Rennboote nur bei Flut auf dem
Fluss rudern. Bei Ebbe ist der Steering River von Steering bis zum Meer eine
einzige seichte Schlammlache.
So war es Everett Steerings
Instinkt für Wasser zu verdanken, dass 1781 eine Akademie für Knaben gegründet
wurde. Gut hundert Jahre später erblühte sie. »Im Laufe all dieser Jahre«,
schrieb Garp, »müssen die schlauen Gene der Steerings irgendwie nachgelassen
haben; in Sachen Wasser verkamen die ehemals guten Instinkte der Familie.« Garp
beschrieb Midge Steering-Percy gern als »eine Steering, deren Instinkt für
Wasser versickert war«. Er fand es herrlich [102] ironisch, »dass die
Steering-Gene für Wasserinstinkt keine Chromosomen mehr hatten, als sie Midge
erreichten. Ihr Sinn für Wasser war so pervertiert«,
schrieb Garp, »dass er sie zuerst nach Hawaii und dann zur US -Navy führte – in Gestalt von Fat Stew.«
Midge Steering-Percy war das Ende
der direkten Linie. Nach ihr würde die Steering School selbst der letzte
Steering sein, und vielleicht sah der alte Everett auch das voraus; viele
Familien haben weniger oder weniger Gutes hinterlassen. Zu Garps Zeiten
zumindest war die Steering School noch unnachsichtig und entschieden in ihrer
Zielsetzung: der »Vorbereitung junger Männer auf eine höhere Bildung«. Und Garp
hatte überdies eine Mutter, die dieses Ziel ebenfalls sehr ernst nahm. Garp
selbst nahm die Schule so ernst, dass es sogar Everett Steering, den Mann mit
dem einen Witz in seinem Leben, erfreut hätte.
Garp wusste, welche Kurse er
belegen sollte und wen er als Lehrer haben wollte. Das macht oft den
Unterschied zwischen guten und schlechten
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