Garp und wie er die Welt sah
gespielt.«
Falls Jenny Fields einsah, dass
dies eines ihrer seltenen Versäumnisse war, gab sie es zumindest nicht zu. Es
war ein typischer Dezembertag: Gefrorener Matsch überzog den Boden wie
Glasscherben, und die Stiefel von achthundert Jungen hatten den Schnee in
grauen Schmutz verwandelt. Jenny Fields zog sich warm an und wanderte über den
winterlich trostlosen Campus, ganz die überzeugte und entschlossene Mutter, die
sie war. Sie sah aus wie eine Krankenschwester, die ein kleines bisschen
Hoffnung an die grausame russische Front bringen will. So näherte Jenny Fields
sich der Turnhalle der Steering School. In den ganzen fünfzehn Jahren, die sie
in Steering verbracht hatte, war sie noch nie dort gewesen – sie hatte nicht
gewusst, dass es wichtig war. Ganz am anderen Ende, umgeben von den großen
Sport- und Eishockeyplätzen sowie den Tenniscourts, sah Jenny die riesige
Turnhalle aus dem Schnee aufragen, drohend wie eine Schlacht, die sie nicht
vorausgesehen hatte, und ihr Herz füllte sich mit Sorge und Schwermut.
Die Seabrook-Turnhalle und das
Seabrook-Sporthaus – [106] und das Seabrook-Stadion und die
Seabrook-Eishockeyfelder – sie alle waren nach dem grandiosen Sportlehrer und
Flieger-Ass des Ersten Weltkriegs Miles Seabrook benannt. Sein Gesicht und sein
muskulöser Oberkörper begrüßten Jenny in Gestalt eines Triptychons von Fotos,
die reliquiengleich in der Vitrine der Eingangshalle ausgestellt waren. Miles
Seabrook, Jahrgang 1909, einen ledernen Footballhelm auf dem Kopf, die
Schulterpolster wirkten überflüssig. Unter dem Foto der ehemaligen Nr. 32 das
schwer mitgenommene Trikot selbst: Verblichen und von Motten zerfressen, ein
Häuflein Stoff, lag es in der verschlossenen Trophäenvitrine unter dem ersten
Drittel des Foto-Triptychons. Ein Schild verkündete es: SEIN ECHTES
TRIKOT .
Das Mittelstück zeigte Miles
Seabrook als Eishockeytorwart – in jenen alten Tagen trugen die Torhüter
Polster, aber das tapfere Gesicht war nackt, die Augen blickten klar und
herausfordernd, und überall sah man Narben. Miles Seabrooks mächtige Gestalt
füllte das mickrige Netz aus. Wie hatte man bloß bei Miles Seabrook mit seinen
katzenschnellen und bärengroßen Lederpfoten, seinem keulenähnlichen Schläger
und seinem Brustschutz, seinen Schlittschuhen, die wie die langen Klauen eines
riesigen Ameisenbärs wirkten, einen Treffer landen können? Unter dem
Footballbild und der Eishockeyaufnahme standen die Ergebnisse der großen Spiele des Jahres: Für alle Mannschaftssportarten
endete die Saison mit dem traditionellen Kampf gegen die Bath Academy, die fast
so alt und berühmt wie die Steering School und der Erzrivale jedes
Steering-Schülers war. Die verhassten Bath-Jungen trugen Gold und Grün (zu
Garps Zeiten nannte man ihre Farben Kotze und [107] Babyscheiße), STEERING 7, BATH 6; STEERING 3, BATH 0. Niemand landete einen Treffer bei Miles.
Captain Miles Seabrook, wie er unter dem dritten Foto des Triptychons genannt wurde,
starrte Jenny aus einer Uniform entgegen, die ihr nur zu vertraut war. Es war
eine Fliegerkombination, sie erkannte es sofort; die Kluft hatte sich zwischen
den Weltkriegen zwar verändert, aber nicht so sehr, dass Jenny den keck
hochgeschlagenen, mit Schaffell gefütterten Kragen, den siegessicher herunterbaumelnden
Kinnriemen der Fliegermütze, die hochgeklappten Ohrenschützer (Miles Seabrooks
Ohren wurden nicht kalt!) und die achtlos in die Stirn geschobene Pilotenbrille
nicht erkannt hätte. Im Ausschnitt das blendend weiße Halstuch. Unter diesem Porträt
stand kein Ergebnis, aber hätte irgendjemand von der Sportabteilung der
Steering School Sinn für Humor gehabt, dann hätte Jenny vielleicht lesen
können: VEREINIGTE STAATEN 16, DEUTSCHES REICH 1. Sechzehn Flugzeuge hatte Miles
Seabrook nämlich abgeschossen, ehe die Deutschen einen Treffer bei ihm
landeten.
Bänder und Medaillen lagen
verstaubt in der verschlossenen Trophäenvitrine, wie Opfergaben auf einem Altar
für Miles Seabrook. Dazwischen lag auch ein ramponiertes Stück Holz, das Jenny
irrtümlich für ein Teil von Miles Seabrooks abgeschossenem Flugzeug hielt – sie
war auf jede Geschmacklosigkeit gefasst. Aber das
Holz war nur alles, was von seinem letzten Eishockeyschläger übriggeblieben
war. Warum nicht sein Suspensorium?, dachte Jenny Fields. Oder, wie ein
Andenken an ein totes Baby, eine Locke von seinem Haar? Das auf allen drei
Fotos von einem Helm oder einer Mütze bedeckt war. Vielleicht,
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