Gartengeschichten
Vorschein des Dankesbriefes:
Im Gegenteil sei er begierig, sich von den gefälschten Elementen zu reinigen, schon um einer Nekrose vorzubeugen. Nur bedeute dies, das Gedächtnis abzuschaffen. Vielleicht auch habe er sich behindern lassen von dem Vorurteil oder der Gewißheit, nach zwanzig Jahren Durchwachsenseins sei eine Abtrennung des verdorbenen Lebensmusters nur zu bewerkstelligen um den Verlust des anderen, wie bei Wald und Gebüsch, bei Sumpf und Röhricht, bei Rosenbusch und honeysuckle … Jelängerjelieber, bei Fleisch und Sehnen.
Auseinander streben hatte er die beiden geheimnisvollen Pflanzen lassen, damit sie überleben konnten. Denn wenn sich zwei Verbundene trennen müssen, geht mindestens einer zugrunde. So setzt er zur Beschreibung seines verzweifelten Zustands Pflanzenmetaphern ein, was Marianne sicher gefallen hat. Ob sie ihn nach dem Geschenk noch einmal gesehen hat und wie sie über sein erbarmungswürdiges Ende und den darauffolgenden Skandal, den Einbruch in sein Haus, dachte, weiß ich nicht. Auch nicht, wie gut beide sich gekannt haben. Erzählt hat sie nie von ihm, was wiederum kein Wunder ist, denn sie behielt Geschichten gern für sich. So blieben auch ihre chinesischen Beziehungen sehr chinesisch, ein Lächeln, ein Blatt mit Kalligraphie oder eine kleine Porzellanschale, die sie einem zeigte, sollten heißen, ja, da ist etwas, aber es geht dich nichts an, es geht niemanden etwas an. Undimmer wieder gab es Samen aus dem Fernen Osten, die sie einem mit wissendem Blick überreichte, so als stünden die für etwas Besonderes, das zu verstehen nur ihr gegeben war. Ich erinnere mich an Päonien und weiße Tränende Herzen, die buchstäblich herzzerreißend schön waren, aber als Frostkeimer umständlicher und sorgsamer Behandlung bedurften. Die weißen Tränenden Herzen habe ich nicht mehr, irgendwann sind sie wahrscheinlich unter der Erde hindurch nach China zurückgekehrt. Die Päonien machen alle zwei, drei Jahre eine Blüte mehr. Etwa zu meinem hundertdreißigsten Geburtstag werden sie in meinem Garten – für zwei Tage, und nur, wenn es nicht regnet – unvergleichlich aussehen.
Ausgerechnet im Jahre 1989 wurde auf ihr Betreiben im Frankfurter Bethmannpark, einem hübschen Patrizierpark, in sehr kurzer Bauzeit ein Chinesischer Garten errichtet. Er hieß auch noch Garten des Himmlischen Friedens, was angesichts der Pekinger Ereignisse dieses Jahres etwas verstörend klang. Das war nicht der einzige Grund, weswegen das Projekt nicht nur Anhänger hatte. Der Bethmannpark war ein Kindheitspark für mich gewesen, mit einem Schildkrötengehege, bunten Blumen, alten Bäumen und einem großen Schachspiel, wo sich an schönen Nachmittagen ältere Herren einfanden, um die Figuren bedächtig hin- und herzuschieben. Jetzt wurden alte Bäume für ein fremdländisches Parkimplantat geopfert. Das Jahr 1989 sollte allerdings noch so viel Umsturz bereithalten, daß die Parkverfremdung irgendwie unterging.
Mittlerweile hat man sich längst an eine chinesische Mauer mitten im Park gewöhnt, an das dunkle Rot der Architektur, den Wasserfall, die Löwen und das Mondtor. Die Menschen wandern zwischen seltsamen Schriftzeichen und Ornamenten herum, ein Liebespaar, ineinandergeringelt, läßt sich nicht stören, Kinder hopsen auf die Felsen, die imalgengrünen Wasser liegen. Sachte und selbstverständlich haben sich die Menschen den Garten des Himmlischen Friedens zu eigen gemacht und nutzen ihn, wie es ihnen gefällt. Es sind noch Bäume aus der Zeit davor dort, nicht mehr viele. Zwei uralte Platanen, eng, aber nicht zu eng beieinanderstehend, wecken die Erinnerung an Uwe Johnsons symbiotische Bäume. Durch die Fenstergitter, durch davor gepflanzten Bambus und an einem Felsen vorbei ergeben sich Bilder von den gefleckten Stämmen, wie man sie vorher nie gesehen hätte. So hat Marianne sich das wahrscheinlich gedacht: Man muß einen Rahmen schaffen, damit Bilder entstehen können. Auch wenn niemand danach fragt, was denn die Schriftzeichen bedeuten, warum die Brücken einen Buckel machen oder um Ecken gehen, auch, wenn keiner auf die Spiegelungen achtet oder auf den Gesichtsausdruck der Löwen – etwas zieht die Menschen in diesen kleinen chinesischen Garten, den am Anfang niemand haben wollte.
Der chinesische Intellektuelle , schrieb die Gärtnerin Marianne, hat immer das geistige Spiel geliebt, das für ihn im Verschlüsseln der Wahrheit in Symbolen liegt, wobei das Symbol meist eindeutiger ist als das
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