Gartengeschichten
meist auf den Komposthaufen, da geben die Blätter Schatten und können aussehen, wie sie wollen, und die bunten Riesendinger und ihre dekorativen Ziervarianten mästen sich in aller Ruhe fett. Hier in Alfriston gingen sie anders damit um, und weil die Reifezeit noch nicht gekommen war, bewunderte ich, wie sorgfältig man die Kürbisranken über die Brettereinfassungen der Gemüsebeete arrangiert hatte. Die gelben Blüten saßen auf den Bretterkanten, und ich stellte mir vor, wie im Herbst auf allen Beetecken riesige orangefarbene Kugeln thronen und wie chinesische Lampions leuchten würden. Ranken und Laub hätten dann längst die Farbe von rostigem Eisen. An den Stirnseiten der Gemüsebeete sah ich große Büschel von Herbstastern wachsen. Sie würden blühen, wenn die Kürbisse reif wären, und ich stellte mir ihren Auftritt in vielen frivolen Lilatönen zusammen mit den Kürbisfarben vor. Diese geahnte Pracht machte mir fast genausoviel Spaß wie die vorgefundene.
Das ist eine ungewöhnliche Eigenschaft für einen öffentlichen Garten. Normalerweise achten deren Regisseure oft darauf, daß es Jetzt-Gärten sind, holen zu einem einzigen tollen Schlag aus, manchmal wird damit auch geworben. Zur Rhododendronblüte nach X.! Für die Dahlien nach Y.! Im Grunde ist dagegen nichts zu sagen, aber das sind Shows, Volksfeste: nicht wirklich Gärten.
Den zweiten Tag verbrachte ich fast ganz im und am Old Clergy House, schaute mir pflichtgemäß auch das Innere des hübschen Hauses an und bewunderte Fotos von früher an den Wänden. Selbst in Sepia und verblichenem Schwarzweiß war die Schönheit des Gartens noch zu erkennen.
Das Haus selber soll aus dem vierzehnten Jahrhundert sein, ein Fachwerkbau, man sieht noch ein steinernes Wasserbecken und ein paar Gerätschaften. Vom Leben sieht man nichts. Das muß man sich vorstellen, und die Lektüre von Geschichten, die im Dunstkreis englischer Pfarrhäuser vergangener Jahrhunderte entstanden sind, ist dabei hilfreich. Ich bedauerte, keinen Brontë-Roman dabeizuhaben. Es war feucht, kühl und düster in diesen Häusern mit ihren unzulänglichen kleinen fireplaces . Wie das Schicksal der Brontë-Geschwister zeigt, wurde man in ihnen oft und frühzeitig krank. Enges, arbeitsreiches Leben unter den Blicken des Dorfes, es blieb jungen Frauen gar nichts anderes übrig, als zu dichten und im Garten zu arbeiten.
Ich konnte nicht herausfinden, wie alt die älteste Rose im Garten des Old Clergy House war. Lakonisch weisen die Reiseführer auf historische Rosen hin, aber das gilt für mindestens jeden zweiten Garten in Kent und Sussex. Das Haus war, als ich es zum erstenmal sah, in Rosen gehüllt wie in einen parfümierten Pelz, Wege und steinerne Treppchen hatten sich mit einem dicken Teppich aus Blütenblättern bedeckt. Cremige Farben herrschten vor, Rosé, Champagner, behauchtes Weiß. Es roch nach Vanille, Pfeffer und Wein, eben nach Rosen. Neben den Wegen sträubten sich dicke Lavendelbüsche, in dem kleinen Laden des Old Clergy House erzählten mir die Damen vom National Trust, es gebe in der Nähe eine Gärtnerei, die ausschließlich Lavendel züchte, sozusagen das Begleitorchester für tausend Rosensolisten. Aber Lavendelbrachte auch Geld ins Haus, als Seife, Wasser, Öl und getrocknet in Beutelchen. Die gibt es in hunderttausend Andenkenläden zu kaufen, und ich war immer der Ansicht gewesen, die würden alle von einer Lavendelplantage in Taiwan oder sonstwo beliefert, wo kleine Kinder im Akkord Stoffsäckchen nähen und füllen müssen.
Aber meine Lavendelsäckchen aus Alfriston, aus dem Laden des National Trust im Old Clergy House, duften heute noch so, wie die Lavendelbüsche dort gerochen haben.
Alfriston ist ein romantisches Dörfchen, krumm und niedlich, mit der sichtbaren Freude am kleinen Eigentum, wie man sie überall in Südengland findet. Deswegen sind sie auch für ihre Gärten so berühmt: Es liegt nicht nur am schönen Klima, sondern auch an diesem Vergnügen an ein paar Quadratmetern eigenem Boden. Die Großdichterin dieser Begeisterung heißt Vita Sackville-West, und natürlich ist ihr Garten in Sissinghurst wunderbar, wie könnte es anders sein? Man kann auch aus Trotz schöne Gärten erfinden, vielleicht sogar besonders gut. Bei ihr war ein mächtiger Antrieb, denke ich, die lebenslange Kränkung, daß ihr Schloß und Park von Knole nicht als Erbe zugefallen waren. Knole: Dreihundertfünfundsechzig Zimmer, zweiundfünfzig Treppenaufgänge – und der Park!
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