Gartengeschichten
Sichtbare.
Das hat sie sich zu eigen gemacht und hat andere damit inspiriert, auch den Dichter Uwe Johnson, der das Verhängnis der vermeintlich eindeutigen und sicheren Liebe so bitter hat erleben müssen. Zwei Gegenstände hatte sie ihm geschenkt, damit die wachsen und gedeihen sollten, in sicherem Abstand voneinander, auseinanderstrebend.
Welche Pflanzen das waren? Das werden wir nicht erfahren, aber vielleicht leben sie noch, erwachsen und groß geworden, in sicherem Abstand voneinander, an der Themsemündung in Sheerness-on-Sea.
Englands schönster Garten
»Niemand könnte mit seiner Familie im Rondell von Versailles sitzen, die Sonntagszeitung lesen und chinesischen Tee schlürfen.«
Harold Nicolson
Einmal muß man sich entscheiden in Englands Gärten: Wo will ich mein Herz verlieren? Meins verlor ich im Garten des Old Clergy House in einem Nest namens Alfriston in der Grafschaft Sussex, das ist ein ganz kleiner Garten. Man kann sein Herz gottlob mehr als einmal verlieren. Aber dort liegt es erst einmal gut.
Wenn ich sage, ein ganz kleiner Garten, so gilt das nur im Vergleich zu den Königreichen, die in den englischen Gartenregionen zu besichtigen sind. Sie tragen schöne Namen wie zum Beispiel Cabbages & Kings und sind Schauplätze ebenso schräger wie wunderbarer Biographien wie zum Beispiel Knole. Das sind Parks, großartige Entwürfe, über Jahrhunderte gewalzte, gemähte, von aristokratischen Füßen durchwanderte Kulturlandschaften.
Der Garten des Old Clergy House ist anders. In einer der zahllosen Besichtigungstouren von Englands Gärten, die im Internet angeboten werden, nennen ihn die Veranstalter goldig. Man sollte ihnen dafür die Einreise verweigern. Er ist ein glücklicher Garten, wie ich nie vorher einen gesehen habe. Nicht angestrengt, nicht eitel, nicht traurig oder vereinsamt wie so viele, auch berühmte Gärten, die ich kenne. Er ist ein Menschengarten, der schon vielen Generationen Augen- und Nasenfreuden beschert zu haben scheint. Er ist ein öffentlicher Garten, Old Clergy House war sogar der Ort, an dem der National Trust erfunden wurde – dennoch wirkt er sovollkommen privat, daß man unwillkürlich nach lächelnden Gespenstern mit Schürze und Gießkanne Ausschau hält.
Am ersten Tag war ich vier Stunden dort, allein, das Buch, das ich mitgenommen hatte, blieb zu. Wenn jetzt jemand glaubt, ich sei mit schnobernder Nase, Notizblock und Pflanzenbestimmungskatalog dort herumgewandert, um diesem britischen Sommerwunder auf die Schliche zu kommen, hat sich geirrt. Ich saß fast die ganze Zeit auf einer Bank am Rand einer kleinen Apfelbaumwiese und hörte das Schwätzen des Flüßchens, das den alten Pfarrgarten – denn das war er einst – begrenzt. Vögel zwitscherten auf englisch, und das Rosenbeet verströmte zwischen seinen tausend Düften ein deutliches Aroma von Gurkensalat – Dill! Dort habe ich die Eleganz von Dill als Begleiter von Rosen entdeckt.
Auch dieser Garten ist in Räume aufgeteilt, aber sie scheinen nicht vom Gestaltungswillen irgendeines der vielen Besitzer, sondern vom Zuschnitt des Geländes und der Nutzung diktiert zu sein. Nein, nicht diktiert, sondern wie natürlich entstanden, und die Buchsbaumhecke, die den vorderen Teil am Haus begrenzt, ist zwar akkurat geschnitten, aber insgesamt sanft gekrümmt, sie sieht aus wie eine grüne Umarmung. Sie haben hier eine Buchsart, die ich nie vorher gesehen habe, Blättchen so klein wie Kinderfingernägel, das ergibt eine samtige Oberfläche, wie man es mit unseren gröberen Buchsen nie hinbekommen würde.
Dahinter finden sich Gemüsebeete, von Holzbrettern eingefaßt, wie es sie überall gibt. Aber sie sehen doch anders aus als die üblichen, das liegt an der Anmut, mit der auch das Unansehnliche arrangiert ist – ob absichtlich oder nicht, behält dieser Garten für sich. Zum Beispiel das leidige Thema Kürbislaub: Jeder, der Kürbisse liebt – und wer tut das nicht, der Anblick fröhlicher Übertreibung und strahlenderAufgeblasenheit gefällt einem ja auch bei manchen Menschen –, kennt das Problem. Die Blätter, für kurze Zeit prunkvoll, neigen zu Fleckenbildung und eingetrockneten Rändern, die kilometerlangen kratzigen Ranken breiten sich über allem aus, das besser aussieht als sie, und die hübschen Kringel, diese geringelten Tentakelchen, aus denen in Disneys Cinderella die Räder der Kürbiskutsche werden, verschwinden. Deswegen und weil der Kürbis ein Vielfraß und Säufer ist, pflanzt man ihn
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