Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
Weg.
»Kind, du kannst doch nicht immer ohne Frühstück losziehen. Du brauchst doch was in den Magen.«
»Ich kann morgens nichts essen, das weißt du. Und ich bin kein Kind mehr.«
»Davina. Du wirst immer dünner. Das kann doch so nicht weitergehen.«
»Sag bloß, du machst dir Sorgen um mich?«, antwortete sie in der schnippischen Art, die sie sich im Umgang mit ihrer Großmutter angewöhnt hatte.
Ihre Großmutter war so ganz anders als ihre Mutter. Richtig gefühlskalt war sie. Nicht einmal hatte sie sie in die Arme genommen oder gestreichelt. Nicht ein einziges Mal. Und sie zeigte absolut kein Verständnis dafür, dass sie, Davina, andere Vorstellungen vom Leben hatte, als sie sich das in ihrem kleinen Hirn vorstellen konnte.
Wenn sie mit der Schule fertig war, würde sie abhauen von hier. Vielleicht auch schon früher, wenn sie es gar nicht mehr aushielt.
Sie nahm ihre Jacke vom Garderobenständer und ging aus dem Haus. Hoffentlich begegnete sie niemandem. Sie war am liebsten für sich. Auf dem Schulweg. In der Pause. Und überhaupt.
15
Als das Telefon klingelte, wurde sie gerade von Brad Pitt gestreichelt. Das Lächeln verschwamm. Mit halb geschlossenen A ugen tastete sie sich zu der Quelle des störenden Geräusches vor .
»Franca, warum hast du denn gestern nicht mehr angerufen? Ich hab dir doch extra auf dieses Ding gesprochen. Die ganze Nacht hab ich kein Auge zugetan.«
»Mama.« Franca räusperte sich, blinzelte und sagte höflich »Guten Morgen.« Sie hörte selbst, wie verschlafen ihre Stimme klang. Sie leckte sich über die ausgetrockneten Lippen und warf einen vorsichtigen Blick auf die Uhr. Mist, sie hatte verschlafen. »Was ist denn los?«, fragte sie, während sie die Bettdecke zurückschlug und mit dem Telefon am Ohr in die Küche lief.
»Hab ich dich etwa geweckt?«
Franca murmelte etwas Unverständliches.
»Ich hab dir auf diesen komischen Apparat gesprochen. Hab ich was falsch gemacht? Hast du es nicht hören können?«
»Doch, ich hab’s gehört, Mama, aber ich bin gestern sehr spät nach Hause gekommen.« Sie legte ein Pad in ihre Single-Kaffeemaschine und drückte auf den Einschaltknopf. Brodelnd begann sich das Wasser zu erhitzen. »Was gibt’s denn so Dringendes?«
Einen kleinen Moment lang war ihre Mutter still, dann sagte sie:
»Bei mir im Garten liegt … eine Taube.«
»Eine Taube?«
»Ja, sie wurde totgebissen … Der Kopf ist ab. Drumherum ist alles voller Federn und Blut. Es sieht ganz schrecklich aus. Ich kann gar nicht hinsehen.«
»Aber was ist daran so schlimm, Mama?«, fragte Franca, nachdem keine weitere Erklärung kam. »Tauben sind Ungeziefer. Die Ratten der Lüfte, wie es immer heißt. Oder war es eine besondere Taube?«
»Nein.«
»Also?«
»Jemand muss sie wegmachen. Ich kann das nicht.«
Franca nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter die Mündung der Kaffeemaschine. Sie beobachtete, wie sich die Tasse langsam mit aromatischem Kaffee füllte, auf dem eine dicke Schicht Crema schwamm.
»Ich hab schon gedacht, es wäre wegen Georgina«, wechselte Franca das Thema. Sie goss ein wenig Milch in den Kaffee und rührte um, bevor sie einen Schluck nahm. »Hat sie sich noch nicht bei dir gemeldet?«
»Sag bloß, die ist schon aus Amerika zurück? Wann ist sie denn gekommen?«
»Gestern Nachmittag. Ich hab sie vom Flughafen abgeholt …«
»Warum sagt mir das denn keiner?«
»Ich hab dir gesagt, dass sie kommt.« Franca war sich ganz sicher. Sie hatte schon öfter bemerkt, dass das Gedächtnis ihrer Mutter längst nicht mehr funktionierte wie früher. Das war eine Feststellung, die sie beunruhigte.
»Kann ich sie sprechen? Ist sie schon wach? Ich will doch wissen, wie es meinem Mäuschen geht«, sagte sie lebhaft.
»Sie ist bei ihrem Vater.«
»Wieso ist sie nicht bei dir? Wo sie doch so lange fort war?«
Ihre Mutter war nie einverstanden gewesen mit dem »modernen Getue«, wie sie das gemeinsame Sorgerecht von Franca und David nannte. Ein Kind sollte wissen, wohin es gehört, und das wusste es nicht, wenn es immer zwischen beiden Elternteilen hin- und herhetzte. Das war ihre Meinung, die sie mal mehr, mal weniger dezent verlauten ließ.
»Wir haben einen neuen, schwierigen Fall. Und David hat sie auch vermisst.« Franca hoffte inständig, dass ihre Mutter nicht wieder eine längere Diskussion über das Für und Wider des gemeinsamen Sorgerechts vom Zaun brechen würde.
»Mama, ich muss jetzt gleich …«, setzte sie
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