Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
wahr. ›Die Liebe ist wie der Mond. Wenn sie nicht wächst, schwindet sie.‹« Er drückte seine Tochter an seinen runden, weichen Körper. »Amore mio. Meine Liebe zu dir wird immer größer. Jeden Tag ein kleines bisschen, weil du so eine …«, er suchte nach einem passenden Wort, »tolle Tochter bist.« Tolle Tochter. Aus dem Mund eines Italieners klang das merkwürdig. Aber sie hatte es als großes Lob aufgefasst.
Sie gönnte sich noch ein zweites Schokoküsschen, strich das schmale Papier glatt, auf dem der Begleitspruch in vier verschiedenen Sprachen stand. »La maniera di dare val di più di ciò che si dà.« – »Die Art und Weise, wie du etwas gibst, ist wichtiger als das, was du gibst.«
Eigentlich passten die Sprüche immer.
Sie goss sich einen Ramazzotti ein und zappte noch ein wenig durch die Fernsehkanäle.
Schadenfreude auf einem der Kabelprogramme. Ein Kind stürzte vom Dreirad, das Publikum lachte. Nein, darüber konnte sie sich nicht amüsieren. Auf dem nächsten Sender küssten sich zwei hübsche Menschen in Großaufnahme. Sie seufzte. Was für eine sinnliche Szene. Zwei schöne Körper, die leidenschaftlich aufeinander zustrebten, nackte Haut, die sich an der Haut des anderen rieb, Haare, in denen sich Hände verfingen.
Unwillkürlich sah sie sich und Oliver Reimers, ihr Körper an den des jungen Mannes geschmiegt, ein schöner Mann mit bronzefarbener Haut, hellen Haaren und blauen Augen.
Franca, der ist viel zu jung für dich, warnte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Und außerdem ist er aus der eigenen Zunft. Du weißt doch aus schmerzlicher Erfahrung, dass so was nicht gut geht.
Träumen wird man doch wohl noch dürfen, seufzte sie. Zumal unsereins, das genug Elend sieht. Ist doch wohl verständlich, dass man sich beim Anblick von zermatschten, männlichen Genitalien nach dem Intakten, Heilen sehnt.
Mit einem Mal fühlte sie ein weiches, warmes Fell auf ihrem Schoß. Farinelli war aus der Schmollecke herausgekommen.
»Na, du. Gut, dass wir zwei einander haben, was?«, flüsterte sie in sein Ohr, worauf er augenblicklich zu schnurren begann.
Wenig später schaltete sie den Fernseher aus, ging ins Bad, putzte sich die Zähne und zog ihren Schlafanzug an. Er war reichlich fadenscheinig, hatte auch schon einige Jährchen auf dem Buckel. Aber es bekam sie ja sowieso niemand in diesem Nachtgewand zu sehen.
Obwohl, irgendwo hatte sie mal gelesen, dass man sich selbst erotischer fühlte, wenn man entsprechende Kleidung trug. Vielleicht sollte sie demnächst mal wieder ein Wäschegeschäft aufsuchen.
Sie kroch unter die Decke und schloss die Augen. In ihrem Kopf kreuzten sich wirre Gedanken. Junge Männer mit blonden Haaren und blauen Augen spielten darin keine unwesentliche Rolle.
Eigentlich wäre ich gern mal wieder so richtig unvernünftig, dachte sie noch, bevor sie in den Schlaf hinüberglitt.
13
Sie hatte keine Lust, aufzustehen. Der Rücken tat ihr weh, und sie fürchtete die Kälte, die sie umfangen würde, sobald sie die Bettdecke zurückschlug.
Seit Hans gestorben war, hockte die Kälte im Haus. Eine Kälte, die kein Feuer vertreiben konnte. Hans war ihr Stütze und Halt gewesen. So, wie es sein sollte in einer Ehe. Doch dann war er krank geworden, das Herz machte ihm zu schaffen. Er wurde immer weniger, war bettlägerig. Helene hatte ihn aufopfernd gepflegt. Lange Jahre. Aber sie hatte es gern getan, obwohl diese Pflege sie oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt hatte, besonders in den letzten Jahren.
Was ihr stets gutgetan hatte, war seine Dankbarkeit. Wenn es seine Lippen nicht aussprechen konnten, sagten es seine Augen: Danke, mein Helenchen, dass du für mich da bist.
Es hatte ihr das Herz gebrochen, als er eines Morgens tot neben ihr im Ehebett gelegen hatte. Auch, weil ihr drückend bewusst wurde, dass er sie mit Patricia und dem kleinen Mädchen alleingelassen hatte.
Es nützte nichts, sie musste sich kümmern. Sie schlug das dicke Federbett zurück, erschauerte kurz und griff sofort nach ihrem zerschlissenen rosa Steppmorgenrock, den sie überzog. Mit schweren Schritten ging sie die Treppenstufen hinunter, um ihr allmorgendliches Ritual zu beginnen. Noch vor dem Kaffeekochen schaufelte sie die Asche aus dem Kachelofen und schichtete Anmachholz hinein. Sie hielt die Flamme an den kleinen Holzstoß, entzündete das darunterliegende Zeitungspapier. Die Flamme züngelte kurz an der Zeitung und erlosch. Sie ratschte ein zweites Streichholz an, hielt
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