G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
Aber ich habe nie etwas geschenkt bekommen! Kein Mensch hat mir je eine milde Gabe zugesteckt! Und ich habe nie um einen unverdienten Wertgegenstand gebeten, noch hätte ich einen solchen auch jemals angenommen.«
»Das ist doch absoluter Unsinn«, merkte Joan an. »Ich kenne Ihre Geschichte, Ayn. Auch nur so weit gekommen zu sein, daß Sie sich in diesem Land abplagen konnten, war für Sie schon ein gewaltiger Sprung nach vorn - ein lebensrettender Sprung -, und den hätten Sie ohne fremde Hilfe nie geschafft. Hat Ihre Mutter nicht ihren letzten Schmuck verkauft, um Ihnen Geld für die Reise geben zu können? Geld, das sie dazu hätte verwenden können, für sich selbst und den Rest Ihrer Familie Lebensmittel zu kaufen? Haben sich Ihre Verwandten aus Chicago - die Sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatten - nicht nach Kräften bemüht, Ihnen zu helfen, einen Paß zu bekommen? Haben sie sich nicht bereit erklärt, für die Dauer Ihres >Besuchs< finanziell die Verantwortung für Sie zu übernehmen? Haben sie nicht auch Ihre Uberfahrt bezahlt? Und haben sie Sie nicht sechs
Monate lang umsonst bei sich wohnen lassen - und das, obwohl Sie allen Berichten zufolge eine egozentrische Landplage gewesen sind?«
»Wer hat Ihnen von meinem Privatleben erzählt?« wollte Ayn wissen. »Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Und was Ihr >nie einen unverdienten Wertgegenstand angenommen* angeht«, fuhr Joan fort. »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber die amerikanische Staatsbürgerschaft haben Sie nicht gerade aufgrund irgendwelcher Verdienste erhalten, oder was würden Sie sagen? Es sei denn, Gerissenheit zählt als Verdienst. Sie haben die Einwanderungsbehörde durch Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu gebracht, Sie für begrenzte Zeit ins Land zu lassen, dann haben Sie einen Amerikaner geheiratet, so daß die Sie nicht mehr abschieben konnten. Sie haben sich mittels arglistiger Täuschung - einer Form von Diebstahl - des Schutzes einer Regierung versichert, die Sie dann Ihr ganzes Schriftstellerinnenleben lang wegen ihrer Unfähigkeit kritisiert haben, das Eigentumsrecht angemessen zu respektieren.«
»Was heißt hier »Diebstahl*?« sagte Ayn. »Davon kann überhaupt keine Rede sein! Ich habe nichts gestohlen!«
»Sie haben bei einem Geschäftsabschluß gegen Treu und Glauben verstoßen«, sagte Joan. »Auf dem amerikanischen Konsulat in Litauen haben Sie ein Touristenvisum beantragt, das Ihnen im Austausch für Ihr Versprechen, nach Ablauf der vereinbarten Frist wieder in Ihre Heimat zurückzukehren, einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten gestattete. Aber Sie haben überhaupt nie die Absicht gehabt, Ihre Seite des Geschäftes einzuhalten.«
»Ich hatte keine andere Wahl! Ich hätte liebend gern Asyl beantragt, aber diese Option hatte ich überhaupt nicht. Das Visum, das ich bekam, war das einzige Visum, das angeboten wurde!«
»Mit anderen Worten: Die Ware, die Sie eigentlich wollten, stand nicht zum Verkauf, aber Sie haben beschlossen, sie trotzdem zu kaufen.« Joan hob eine Augenbraue. »Und als der Ladenbesitzer Argwohn schöpfte und anfing, Ihre Absichten in Zweifel zu ziehen, haben Sie ihm eine Geschichte von einem inexistenten Verlobten aufgetischt, der angeblich in Leningrad auf Sie wartete - und damit auf das, was schon eine implizite Täuschung war, noch eine glatte Lüge draufgesetzt.«
»Ich hatte keine andere Wahl!« wiederholte Ayn. »Wenn ich vom amerikanischen Konsul abgewiesen worden wäre, dann hätte es für mich keine zweite Chance gegeben, keinen Berufungsweg - nicht einmal die Möglichkeit, mich an das Konsulat eines anderen Staates zu wenden. Ich wäre sofort verhaftet und wieder nach Rußland deportiert worden. Für immer!«
»Naja«, sagte Joan und zuckte die Schultern, »das wäre dann Pech für Sie gewesen, oder? Bedauerlich, aber was kann man schon machen? Haben Sie mir nicht gerade eben gesagt, daß nicht einmal die größte Not einen Diebstahl rechtfertigt?«
» Was denn für einen Diebstahl? Ich habe nichts gestohlen!«
»Aufenthaltserlaubnis und US-Staatsbürgerschaft sind keine Wertgegenstände? Warum haben Sie dann gelogen, um sie zu bekommen, wenn sie nichts wert waren?«
»Ich -«
»Ich meine, ich will nicht den Moralapostel spielen«, sagte Joan, »aber Sie waren so ehern in Ihrer Verurteilung des Kompromisses. Die zynische Anpassung der Wahrheit an die Unwahrheit, haben Sie das genannt. Und trotzdem behaupten Sie jetzt implizit, es sei ethisch nicht
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