G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
warum Joan Fine nicht allzuviel vom Realitätsgehalt von Nahtod-Erfahrungen hielt, war der Umstand, daß ihre Mutter eine solche gehabt hatte, und Schwester Ellen Fines Spritztour ins Jenseits war sowohl hinsichtlich ihres Anlasses als auch ihres Verlaufs so bizarr gewesen, daß sie für Joan die ganze Angelegenheitweitgehend diskreditiert hatte.
Die letzte Aktion des Katholisch-Feministischen Kreuzzugs wurde im Sommer 04 gestartet, gerade zwei Monate vor dem Ausbruch der Afrikanischen Pandemie (eine Koinzidenz, auf die der Katastrophenchronist Tad Winston Peller gebührend aufmerksam gemacht hatte, wenngleich ohne den leisesten Hinweis darauf zu geben, worin der Zusammenhang eigentlich bestehe). Mittlerweile hatten die Personalzahlen des römisch-katholischen Klerus weltweit den kritischen Grenzwert erreicht, und auch wenn der Priesterschwund etliche Gründe hatte, wurde die Zölibatsfrage immer wieder als einer der Hauptfaktoren angeführt. Als Anfang Juni 04 ein drittes Vatikanisches Konzil einberufen wurde, verbreitete sich das Gerücht, die Kirche plane endlich, das Verbot der Priesterehe aufzuheben. Die Feministinnen beschlossen, in die Party hineinzuplatzen.
»Du bist übergeschnappt, Mom«, sagte Joan, nicht zum erstenmal. »Das Kardinalskollegium ist ein Haufen chronisch übellauniger alter Jungfern. Selbst dieses klitzekleine Zugeständnis bereitet den Typen Bauchkrämpfe, und was verlangst du? Nicht bloß verheiratete Priester. Nicht einmal bloß weibliche Priester. Weibliche Priester, die heiraten dürfen, möglicherweise auch noch untereinander. Schwangere Priester. Künstlich besamte feministische Priester-Lesben. Der Papst kriegt'n Herzschlag.«
»O du meine kleingläubige Tochter«, erwiderte Schwester Ellen, während sie angestrengt versuchte, ihren Koffer zuzukriegen. »Das Studium in Harvard hat dich offenbar zum Heidentum bekehrt.«
»Die haben dich exkommuniziert, Mom. Sie werden dich nicht mal reinlassen.«
»Diese Exkommunikation war ein rein politischer Akt.« Es klickte zweimal, als die Riegel des Koffers einrasteten. »Schau, ich akzeptiere die Tatsache, daß du gern die Agnostikerin spielen möchtest, aber ich liebe diese Kirche noch immer. Und ohne uns wird sie binnen fünfzig Jahren das Zeitliche gesegnet haben. Sie wird an ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit sterben. Der Heilige Vater sieht das nicht ein, das Heilige Kollegium sieht das nicht ein, aber ich sehe das, also ist es meine Pflicht als gute Katholikin, da hinzufahren und meine Einsicht kundzutun.« Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Ich bin stolz auf dich, Mom«, sagte Joan. »Heidin oder nicht, ich möchte nicht, daß du glaubst, ich wäre nicht stolz auf dich. Aber du weißt, daß die dich umbringen werden, oder?«
Die Feministinnen flogen in zwei gecharterten Lufthansa-Jumbo-Jets (Alitalia hatte sich geweigert, sie zu befördern) nach Rom und schlüpften, als Reisegruppe deutscher Biergroßhändler verkleidet, durch die Paßkontrolle. Am nächsten Tag sammelten sie sich im Morgengrauen am Westufer des Tibers, von wo aus sie den Marsch auf den Vatikan begannen. Für diesen besonderen Anlaß hatten sie ihre jeweilige Ordenstracht gegen eine Standarduniform eingetauscht - ein »Sturmhabit«, das ein stolzes Violett mit bescheidenem Material und unauffälligem Schnitt kombinierte. Als sie, siebenhundert Frau hoch, die Via della Conciliazione entlangmarschierten, erinnerten die Feministinnen an eine Militärparade lilagefiederter Pinguine.
Der Apostolische Stuhl war über ihr Kommen informiert worden. Die Pforten der Vatikanstadt standen offen, aber auf dem Petersplatz hatte die Schweizergarde eine leuchtend gelb-rotblaue Verteidigungslinie aufgezogen, die den Zugang zur Vortreppe der Peterskirche versperrte. Da zu einer solchen Konfrontation eine aufgebrachte Menge gehörte, hatte man rund zweitausend römische Bürger aus ihren Betten geholt und auf die Piazza San Pietro gescheucht, wo sie sich an der Nord- und der Südseite gegen die schwarzgestiefelten Carabinieri drängten, die so taten, als wollten sie sie zurückhalten. Und in der Mitte des Platzes, rund um den Obelisken, wimmelte es von Pa-parazzi, die in ihren weißen Büßer-Sportsakkos von Gucci und Armani drauflosknipsten, was das Zeug hielt.
In die Staaten übertragen wurde das Ganze von CNN, das ein Kleinluftschiff mit Fernsehkameras über der Peterskirche postiert hatte. Ein einsamer Schweizer war aufs Dach des Gotteshauses geklettert, um das Zeppo zu
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