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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wand. Von dort starrte uns eine nackte Frau an. Sie saß auf einer riesigen Schildkröte, hatte die Beine übereinandergeschlagen und berührte mit einer Blüte, die sie in der Hand hielt, die entblößte Brust. An den Füßen hatte sie sonderbare Sandalen mit einem Absatz, der wie ein scharfer Schnabel geformt war. Die Nägel an Zehen und Fingern waren blutig. Ebenso rot war ihr Mund, der zu einem Lächeln geöffnet war, so daß die schneeweißen Zähne hervorschimmerten. In diesem Lächeln lag etwas unaussprechlich Gemeines.
    Ich wandte den Kopf. Dicht hinter mir stand Ter Haar. Sein Gesicht hinter dem Glas des Helms war blaß, seine Miene hart, streng.
    „Was hat das zu bedeuten?“ fragte ich und dämpfte unwillkürlich die Stimme. Keiner antwortete.
    Grotrian stieg über den Leichnam hinweg und betrat den Raum. Wir folgten ihm durch den schmalen Gang zwischen den käfigartigen Betten. DerAstro gator bemühte sich vergebens, die nächste Tür zu öffnen. Er rief einen Mechanoautomaten heran, der durch einen kurzen Schlag mit seiner stählernen Faust die Tür sprengte. Durch die Erschütterung fiel das an der Wand befestigte Bild der nackten Frau herunter, wie im leeren Raum die leichtesten Gegenstände zu Boden fallen: wie ein Stein. Die Staubwolke, die zwischen mir und dem gepanzerten Rücken des Gefährten vor mir schwebte, wurde immer dichter, je tiefer wir in die fensterlosen Räume eindrangen. Das Licht der Lampen hüpfte im Rhythmus unserer Schritte auf und ab. Im Bereich ihrer Strahlen sahen wir Tote, Tote… Über ihre flachen, braunen Körper hinweg, die wie vertrocknete, riesige Motten aussahen, starrten von den Wänden nackte Frauen. Das Blut hämmerte in meinen Schläfen, wie das Werk einer gespenstischen Uhr, und eine unsichtbare Faust schien mir die Kehle zusammenzupressen.
    Mir träumte einmal, daß ich nach einer langen Wanderung durch eine dunkle, öde Gegend einem Menschen begegnete, der auf mich zutrat und mir freundlich, voll Herzlichkeit die Hand reichte. Als ich sein gütiges, lächelndes Gesicht aus der Nähe betrachtete, machte ich plötzlich eine furchtbare Entdeckung: Das war gar kein Mensch! Unter der kunstvoll gespannten Haut verbarg sich ein unheimliches Wesen. Es verzog den Mund zu einem freundlichen Lächeln und musterte mich durch den Spalt zwischen den Lidern mit einem kalten, stumpfen und zugleich triumphierenden Blick. Auch jetzt, als ich durch die Staubwolken schritt, die nichts anderes waren als in der furchtbaren Kälte des Weltraums gefrorene Luft, war ich wieder im Bann eines ähnlichen Alp traumes. Die Bedeutung und der Zweck der meisten Gegenstände, die das Licht unserer Scheinwerfer aus dem Dunkel hob, waren mir unbekannt. In diesem heillosen Durcheinander von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen lagen, knieten und hockten, in Decken und Planen eingehüllt, zu zweit, zu dritt Mumien, die Hände krampfhaft verschlungen, die Gesichter an den Fußboden gedrückt oder nach hinten gebeugt. Die Augen waren Stücke trüben Eises, hinter den erstarrten Lippen blitzten die Zähne wie bloße Knochen. Alle waren mit dem schneeigen Staub bedeckt und jedes menschlichen Ausdruckes bar; und doch waren es menschliche Überreste.
    Solche Katastrophen hatten sich vor Jahrhunderten ereignet, das war nur zu verständlich. Aber was sollten diese Bilder an den Wänden? Diese nackten Weiber mit schlanken, weißen Fingern, die in blutroten Nägeln endeten – diese Weiber, deren Blick uns aus den Augenwinkeln und unter halb geschlossenen Lidern hervor zudringlich, hartnäckig verfolgte, in Posen erstarrt, die ein Hohn, eine Lästerung all dessen waren, was wehrloses Geheimnis und das Schweigen der Nacktheit ist – waren diese Weiber auch Menschen?
    Wir gingen in dumpfem Schweigen von einer Kajüte in die andere und gelangten schließlich in einen Raum, der wahrscheinlich als Küche gedient hatte. Auf dem weißgekachelten Fußboden lagen ganze Berge von leeren Blechdosen und alten, trockenen Knochen. An den metallenen Wasserhähnen hingen Eiszapfen. Dann kam wieder ein langer Korridor. Auch in ihm tanzten rote Lichtkringel, die der rote Zwerg durch die runden Luken in der Decke hereinstreute. Als ich über die Schwelle der nächsten Tür schritt, schrak ich zusammen. Von der gegenüberliegenden Wand stapften acht große, silbrigglänzende Gestalten auf uns zu–unser eigenes Spiegelbild, das ein hoher Spiegel zurückwarf. In dem Zimmer herrschte ein wüstes Durcheinander. Zwischen

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