Gast im Weltraum
Geschwindigkeit der Gea wurde jeden Tag einmal, und zwar nachts, erhöht. Die Instruktionen empfehlen, zu dieser Zeit die Arbeit zu unterbrechen und eine liegende Stellung einzunehmen, obwohl dies nicht unbedingt notwendig ist. Warnsignale in allen Räumen des Schiffes meldeten, daß die Triebwerke eingeschaltet wurden. Ihr gedämpftes, aber deutlich wahrnehmbares Pfeifen erreichte mich gerade auf der Schwelle meiner Wohnung. Ich blieb reglos stehen und lauschte mit geschlossenen Augen diesem dumpfen, gleichmäßigen Ton, der mich jahrelang begleiten sollte.
Trione
Jeder von uns beherrscht selbstverständlich die Kunst des Schreibens. Aber nur selten kommt man dazu, sie zu gebrauchen. Was die Schrift selbst anbelangt, muß ich gestehen, daß das Können und die Kunstfertigkeit der Alten auf diesem Gebiet mir stets Bewunderung abnötigt. Wenn ich gezwungen bin, mehr als ein paar Sätze zu schreiben, spüre ich sofort eine so starke Ermüdung der Hand, daß ich eine längere Pause einschieben muß. Die Historiker erklärten mir, daß sich in früheren Zeiten, als das Schreiben den Kindern von frühester Jugend an beigebracht wurde, der Organismus entsprechend anpaßte. Die Menschen konnten damals angeblich stundenlang ohne Unterbrechung schreiben. Ich will es gern glauben, obgleich es mir eigenartig vorkommt.
Noch sonderbarer scheint mir der Starrsinn oder der Konservatismus, mit dem viele Jahrhunderte lang eine geradezu archaische Art der Aufstapelung jedweden Wissens in Büchern gepflegt wurde, die aus Papier hergestellt waren. Meiner Ansicht nach ist dies ein guter Beweis für das Beharrungsvermögen von Gewohnheiten, die von Geschlecht zu Geschlecht überliefert werden.
Durch solche Produktionsweisen erschweren sich die Menschen die Bewältigung der Probleme, die sich, von der Tradition gelöst und gründlich durchdacht, viel einfacher und schneller klären lassen.
Geschriebene Dokumente existieren, soweit mir bekannt ist – meine historischen Kenntnisse sind sehr gering –, seit vielen tausend Jahren. Die verschiedenen Epochen schufen unterschiedliche Schriftformen und -arten. Die Erfindung des Buchdrucks brachte wohl eine beträchtliche Erleichterung und bedeutete einen großen Fortschritt; aber ich glaube doch, daß bereits im 20. oder 21. Jahrhundert eine solche Stapelung von Informationsmaterial und schöngeistigen Werken ein Anachronismus war, der eine Belastung darstellte.
Bekanntlich gab es damals sogenannte öffentliche Bibliotheken, die unablässig ihren Bestand an Druckerzeugnissen ergänzten. Am Ende des 20. Jahrhunderts besaß bereits jede große Buchsammlung einige Millionen Bände. Durch den Sieg des Kommunismus in der ganzen Welt und die damit verbundene Verallgemeinerung der Bildung und Kultur wurde dieser Prozeß wesentlich beschleunigt. Die Zentralbibliotheken der Kontinente hatten im Jahre 2100 durchschnittlich neunzig Millionen Bände. Ihr Grundbestand verdoppelte sich alle zwölf Jahre, so daß ein halbes Jahrhundert später die größten von ihnen, die Bibliotheken in Berlin, London, Leningrad und Peking, je siebenhundert Bibliothekare beschäftigten. Damals berechnete man, daß hundert Jahre später ungefähr dreitausend und nach weiteren zweihundert Jahren mehr als hundertachtzigtausend Menschen in jeder dieser Bibliotheken beschäftigt werden müßten. Unwillkürlich drängt sich die groteske Vision einer mit einer dicken Schicht von Büchern und Katalogen bedeckten Welt um das Jahr 2600 auf. Die Menschheit hätte nur noch aus Bibliothekaren bestanden, die über unaufhörlich anwachsende Bücherstöße wachten, da der Prozeß des Veraltens und des dadurch bedingten Ausscheidens aus den Bibliotheken in dieser Epoche eines immer umfangreicheren geistigen Schaffens viel langsamer war als das Tempo, in dem neue Werke erschienen.
Die Neuerungen‚ die in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends vorgenommen wurden, hatten ausgesprochen konservativen Charakter. Bibliotheken wurden geschaffen, die auf verschiedene Gebiete spezialisiert waren und zahllose Mikrofilme herstellten. Die Konstruktion katalogisierender Automaten beseitigte die bedrückende Vision einer Menschheit, die zu einem riesenhaften Kollektiv von Bücherwächtern wurde. Es entstanden aber weiterhin Kataloge von Katalogen, Bibliographien von Bibliographien. Dieser Vorgang wurde immer komplizierter, so daß um das Jahr 2400 ein Wissenschaftler, der ein altes Werk als Quelle für seine Studien brauchte, häufig wochenlang
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