Gauck: Eine Biographie (German Edition)
vorgestellt hatte, war er von einem ehemaligen DDR -Bürgerrechtler gefragt worden, wie er mit ausländischen Repräsentanten à la Putin umgehen würde. Der Kandidat hatte geantwortet: 359 »Das ist die schlimmste Frage, die Sie mir stellen können.« Jetzt sah das Protokoll nach dem Eintrag in das Gästebuch im Schloss Bellevue einen Handschlag mit dem russischen Präsidenten vor. Er dauerte vielleicht zwei Sekunden und fiel demonstrativ kühl aus. Vor dem Treffen mit Putin hatte der Bundespräsident mit Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes in Rollenspielen geübt und verschiedene Formulierungen für das Treffen ausprobiert. Das eigentliche Treffen fand dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ist schwer vorstellbar, dass der Bundespräsident dabei mit dem russischen Potentaten Süßholz raspelte.
Große Wirkung hatte Ende April Gaucks Absage seiner für Mitte Mai 2012 geplanten Reise in die Ukraine zu einem Treffen zentraleuropäischer Präsidenten in Jalta. Die Stornierung wurde mit Berlins tiefer Besorgnis über die Inhaftierung der früheren Ministerpräsidentin Julija Timoschenko begründet. Diesem demonstrativen Schritt des Bundespräsidenten schlossen sich in den folgenden Tagen neun weitere europäische Staats- und Regierungschefs an, die ihre Reise gleichfalls absagten. Die Regierung der Ukraine sah sich daraufhin genötigt, das Treffen ausfallen zu lassen. Es war eine für das Regime unter Präsident Wiktor Janukowitsch peinliche Bloßstellung, die Gauck initiiert hatte.
Ähnlich wirkungsvoll war ein innenpolitisches Signal, dass Gauck im September 2012 setzte. Der Bundespräsident wandelte das traditionelle Sommerfest des Staatsoberhauptes in ein zweitägiges Bürgerfest um. Gauck verzichtete dafür weitgehend auf die Unterstützung von Sponsoren, die in den beiden vergangenen Jahren jeweils über drei Millionen Euro zum Etat des Festes beigetragen hatten – das Bundespräsidialamt zahlte die Feier diesmal selbst. Die Botschaft eins war: Schluss mit der Kungelei mit der Wirtschaft. Die Bundesrepublik Deutschland kann sich leisten, dass das 360 deutsche Staatsoberhaupt einmal im Jahr ein Bürgerfest selbst finanziert. Botschaft zwei: Das Staatsoberhaupt ist ein Bürgerpräsident, nicht nur der Präsident der oberen Zehntausend. Gaucks Vorgänger hatten Sommerfeste für die High Society veranstaltet, Gauck machte aus der Veranstaltung ein volkstümliches Bürgerfest.
Am ersten Tag lud der Bundespräsident viertausend Menschen ein, die sich in der Vergangenheit durch ihr soziales Engagement um das Land verdient gemacht hatten. Am zweiten Tag wurde der Park von Schloss Bellevue für die Bevölkerung geöffnet. Fünfzehntausend Menschen nutzten die Gelegenheit und nahmen lange Wartezeiten in Kauf, um eingelassen zu werden. Es gab Eis, Kuchen, Wurst und Matjes und einen Bundespräsidenten zum Anfassen. Gauck und Schadt gingen durch die Reihen schüttelten Hände, begrüßten Bekannte, gaben Autogramme und ließen sich mit ihren Gästen ablichten. »Wenn Sie uns ein bisschen am Leben lassen, wäre es einfacher«, versuchte Gauck sich der drängelnden Massen zu erwehren. Das neue Konzept für das Fest kam hervorragend an. »Keine VIP s, sondern wir«, lobten die Berliner, die mit dem Bundespräsidenten feierten »wie mit einem alten Freund«. Die Medien fanden freundliche Überschriften wie »Grillparty mit Staatsoberhaupt« oder »Gauck zum Anfassen« und lobten die unglaubliche Nähe, die der Bundespräsident zu den Bürgern herstellen konnte.
Ein anderes Signal, das Gauck in seinem ersten Amtsjahr mehrfach sendete, war die moralische Unterstützung der Bundeswehr und ihrer Soldaten. Bei einem Besuch der Führungsakademie der Bundeswehr im Juni 2012 bezeichnete er die Soldaten als »Mut-Bürger in Uniform«, wies auf ihren hohen Einsatz, im Extremfall den Einsatz des eigenen Lebens, hin und erklärte: »Für diese unsere Bun 361 deswehr bin ich sehr dankbar! Das sagt der Bürger Joachim Gauck genauso wie der Bundespräsident.« Wie seine Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff flog auch Gauck Mitte Dezember 2012 nach Afghanistan, um die dort stationierten Truppen zu besuchen und sich mit dem afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karzai zu treffen. Er nahm die Gelegenheit wahr, sich demonstrativ hinter die Bundeswehr wie auch hinter in Afghanistan stationierte Polizisten und Entwicklungshelfer zu stellen: »Ihre Bereitschaft, als Soldat Entbehrungen in Kauf zu nehmen, ist Ausdruck einer
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