Gauck: Eine Biographie (German Edition)
und er wusste diesmal, dass er tatsächlich auch Bundespräsident werden würde.« Gaucks Kritiker prophezeiten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten in ein Fettnäpfchen treten werde. Doch Joachim Gauck entsprach diesen Erwartungen nicht, weder vor seiner Wahl noch in den ersten eineinhalb Jahren, seiner Präsidentschaft. Er wusste sehr genau, dass er von nun an in der Öffentlichkeit präsidialer auftreten musste, als er es bisher praktiziert hatte: »Ich bin ja nicht mehr der Bürger Gauck, sondern die Bundesrepublik.« 351
Bundespräsident
Ich habe seit einigen Jahren das Gefühl, dass in meinem Leben Erntedankfest ist.
Joachim Gauck
Die deutsche Öffentlichkeit tut so, als hätte sie nach einigen Nieten nun das große Los gezogen. Sie behängt ihn mit Würdigungen, die er nicht verdient.
Hans-Jochen Tschiche über Gauck
Start ins neue Amt
Nach einem Gottesdienst am Morgen wurde Joachim Gauck am Nachmittag des 18. März 2012 mit einer Mehrheit von über achtzig Prozent der abgegebenen Stimmen zum elften Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Er war das erste Staatsoberhaupt, das zum Zeitpunkt seiner Wahl keiner Partei angehörte. Der erste Bürger aus der ehemaligen DDR , der in dieses Amt gewählt wurde. Und mit zweiundsiebzig Jahren zu Beginn seiner Amtszeit der bislang älteste Gewählte.
Die Medien reagierten mit überwältigender Zustimmung auf Gaucks Wahl. Die Berliner Zeitung titelte am nächsten Tag: »Gauck sei mit uns«, der Stern veröffentlichte einen Artikel unter der Überschrift: »Er ist das Volk« und die Frankfurter Allgemeine schrieb: »Es war ein guter Sonntag für unser Land, als Joachim Gauck Bundespräsident wurde.« Die Erwartungen an das neue Staatsoberhaupt waren riesig. Man wünschte sich einen »Bürgerpräsidenten« und erwartete von ihm, dass er die Würde des beschädigten 352 Amtes wiederherstellte. Man konnte den Eindruck gewinnen, als sei ein politischer Wunderheiler auf einen virtuellen Thron der Bundesrepublik gestiegen. Zugleich fragten sich alle, wie Gauck diesem übermenschlich anmutenden Erwartungsdruck gerecht werden sollte. Er selbst wusste nur allzu genau: »Diese Erwartungen waren so hochgeschraubt, dass fast so etwas wie Erlösung eine Rolle spielte. Kein Mensch kann dieser Erwartung gerecht werden.«
Neuer Staatssekretär im Bundespräsidialamt wurde David Gill. Gleich am Tag nach seiner Nominierung hatte Gauck seinen Vertrauten angerufen und ihm das Angebot gemacht, das Amt des Staatssekretärs im Bundespräsidialamt zu übernehmen. »Es war klar, dass für den Fall der Wahl von Gauck zum Bundespräsidenten dies für mich eine berufliche Veränderung mit sich bringen würde«, sagte Gill, »dass es allerdings das Amt des Staatssekretärs sein würde, war weder ausgemacht noch so von mir erwartet.« Der frischgebackene Staatssekretär kannte seinen künftigen Arbeitsplatz bereits bestens. Im Jahr 2000 hatte er dort als junger Jurist ein halbes Jahr lang für den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau gearbeitet. Auch die anderen Vertrauten Gaucks, die ihn während seiner beiden Kandidaturen um das Amt 2010 und 2012 unterstützt hatten, arbeiten weiterhin für den Bundespräsidenten. Andreas Schulze als Leiter strategische Kommunikation im Bundespräsidialamt, Johannes Sturm als persönlicher Referent des Bundespräsidenten und Helga Hirsch als externe Beraterin. Gegenwärtig unterstützt sie ihn bei der Vorbereitung wichtiger Reden. Vor allem in publizistischen Fragen legt der Bundespräsident großen Wert auf ihr Urteil. »Fragen Sie mal Helga«, sagt er regelmäßig zu seinem Pressesprecher Andreas Schulze, wenn es darum geht, ob und wie er sich zu einer bestimmten Frage öffentlich äußern soll. 353
Als Gauck am 23. März 2012 vereidigt wurde, hielt er eine rhetorisch und inhaltlich perfekte Antrittsrede, die auf breite Zustimmung stieß. Die Medien waren sich einig: Besser hatte der Start ins Amt nicht gelingen können. Was keiner der Zuhörer ahnte, das Manuskript der Rede war erst in der Nacht zuvor fertiggeworden. Gauck hatte am Vortag bis etwa sechzehn Uhr zusammen mit David Gill, Johannes Sturm und Helga Hirsch daran gearbeitet und sich dann zu einer privaten Feier anlässlich seiner Vereidigung mit Freunden und Weggefährten im Café Einstein verabschiedet. »Das ist so was von typisch für ihn«, lachte Helga Hirsch, die mit Gill und Sturm bis nach Mitternacht
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