Gauck: Eine Biographie (German Edition)
nicht ein, sondern achtete auf Freiräume für sie. Er ermunterte sie, ihren eigenen Weg zu finden und diesen konsequent zu gehen. Dabei schrieb er ihnen aber nicht vor, was sie tun sollten. Unter keinen Umständen rief er sie zum Widerstand auf, sie sollten sich nicht selbst in Gefahr bringen.« Das war ein wichtiger Punkt, der auch von anderen Wegbegleitern bestätigt wurde. »Gauck wies immer auf die Risiken des Handelns hin. Er erklärte den jungen Leuten, wie weit sie gehen konnten und was nicht ging, weil sie sich damit in Gefahr brachten.« 130
Pastor im SED -Staat
Ein DDR -Pastor war in vielfältiger Hinsicht abhängig von Staat und Partei. Er brauchte den Segen der Staatsmacht, wenn er mit seiner Gemeinde in einer Gaststätte feiern wollte. Erst recht war er auf den guten Willen staatlicher Stellen angewiesen, wenn es durch das Dach seiner Kirche regnete und sie dringend renoviert werden musste oder er eine dienstliche Auslandsreise machen wollte – immer hielt ein SED -Funktionär darüber den Daumen hoch oder senkte ihn. Das war der Hebel, mit dem die Einheitspartei persönlichen Druck auf die Pfarrer ausüben und sie in die gewünschte Richtung lenken konnte. Den Geistlichen blieb gar keine andere Wahl, als sich mehr oder weniger mit der Partei zu arrangieren, wenn sie eine ständige Gängelung und Drangsalierung durch den Staat vermeiden wollten. Zugeständnisse machen, Kompromisse mit dem Staat schließen, das war für einen Pastor in der DDR bisweilen unumgänglich.
Jeder einzelne Geistliche musste seinen persönlichen Weg finden, wie er mit dem staatlichen Druck einerseits und den Anforderungen seines Amtes andererseits umging. Die Bandbreite reichte dabei von offenem Widerstand gegen die Staatsmacht bis hin zu völliger Unterwerfung. Es gab Pastoren, die bereit waren, für ihre Überzeugung ins Gefängnis zu gehen, oder resigniert Ausreiseanträge stellten, und es gab solche, die sich als Inoffizielle Mitarbeiter in den Dienst des MfS stellten. Unter ihnen Spitzenkräfte der Kirche wie der Greifswalder Bischof Horst Gienke, der unter dem Decknamen »Orion« agierte. Joachim Gauck gehörte zum Lager der staatskritischen Pastoren und trat dem Staat gegenüber deutlich gegnerischer auf als die meisten seiner Rostocker Amtsbrüder. Er nutzte den Freiraum, den 131 er als Mann der Kirche genoss, aus bis an seine Grenzen. Genau so weit, dass er die Staatsmacht nicht provozierte, ihn zu verhaften. Seine Bereitschaft zum Widerstand endete dort, wo die persönliche Gefährdung begann. Ein Revolutionär, der bereit war, für seine politische Überzeugung ins Gefängnis zu gehen, war Gauck nicht. Aber er kritisierte seinen Staat permanent, und das nicht in privaten kleinen Zirkeln von Regimegegnern, sondern öffentlich von der Kanzel mit deutlichen, teilweise drastischen Formulierungen. Wurde es für ihn kritisch, hielt er sich stets eine Weile zurück. Genauso regelmäßig klopften sich die Stasioffiziere dann auf die Schultern und verbuchten dies als Ergebnis ihrer erfolgreichen Abwehrarbeit im Kampf gegen den staatsfeindlichen Pastor. Bis Gauck sein gefährliches Spiel mit der Staatsmacht wieder aufnahm, das auch böse für ihn hätte enden können. Nur wenige seiner Kollegen trauten sich das in dieser Form.
Demgegenüber hatte sich der Bund Evangelischer Kirchen in der DDR , der Zusammenschluss der ostdeutschen Landeskirchen, Anfang der siebziger Jahre zu einem Kurs entschlossen, bei dem kirchengefährdende Konfrontationen mit dem Staat vermieden werden sollten. Umschrieben wurde diese Linie mit der Formel von der »Kirche im Sozialismus«. Was die Formel »Kirche im Sozialismus« konkret bedeutete, wurde nie verbindlich definiert und von den acht evangelischen Landeskirchen der DDR ganz unterschiedlich ausgelegt. Das reichte von einem Bekenntnis zum Sozialismus bis hin zur Feststellung, dass damit schlicht der geistige Raum beschrieben war, in dem sich die Kirchen in der DDR bewegten. Die Mecklenburger Landeskirche verwendete die Formel von der »Kirche im Sozialismus« nicht. Ihr Landesbischof Heinrich Rathke hielt deutlich mehr Distanz zu Staat und Partei als das oberste Kirchengremi 132 um unter seinem Vorsitzenden Bischof Albrecht Schönherr. Aber auch Rathke trat den Machthabern gegenüber nicht konfrontativ, sondern kompromissbereit auf. Exakt auf dieser politischen Linie seines Landesbischofs bewegte sich auch Joachim Gauck. In seinen Erinnerungen schrieb er über Heinrich Rathke: »Es gab für
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