Gauck: Eine Biographie (German Edition)
ihn eine Möglichkeit, in der DDR zu existieren, ohne sich vollständig mit diesem Staat zu identifizieren. Zwischen Verweigerung und Anpassung den Weg für eine unabhängige und selbständige Kirchenarbeit zu finden, blieb allerdings ein schwieriges Unterfangen in all den Jahren der DDR .« Diese Sätze hätte Gauck auch über sich selbst schreiben können. Um seine Ziele zu erreichen, verhielt er sich gegenüber staatlichen Stellen zwar im Ton moderat und war zu Kompromissen bereit. Doch eine Anbiederung an die Machthaber oder gar eine Unterwerfung unter ihre Wünsche war für ihn ausgeschlossen. Dass Heinrich Rathke und Joachim Gauck 1999 gemeinsam die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Rostock verliehen wurde, war kein Zufall, sondern auch eine Würdigung ihrer politischen Haltung in der DDR . Im Rahmen der Preisverleihung sagte Gauck über seinen hochverehrten Altbischof: »eigentlich denke ich, dass er ein irdischer Engel ist«.
Abgesehen von dieser kirchenpolitischen Position hatte sich Gaucks Weltbild in den siebziger Jahren im Vergleich zu seiner Jugend erheblich gewandelt. Der jugendliche Kommunistenhasser, dem der Westen nahestand »wie eine Geliebte«, war über die Jahre nach links gewandert, bis er in der »linksprotestantischen Ecke« angekommen war, wie er das selber einschätzte. Er war ein Gegner der totalitären SED -Herrschaft, nicht aber des sozialistischen Systems an sich. Vielmehr glaubte er damals an die Reformierbarkeit des Sozialismus in der DDR . »Bei uns war, auch vom Wes 133 ten beeinflusst, der Gedanke eines alternativen Sozialismus bis in die 80er-Jahre immer sehr lebendig.« Gauck dazu in seinen Memoiren: »Mehr als ein Sechstel der Menschheit lebte in einem sozialistischen System und befand sich auf dem ›Weg zum Kommunismus‹. Wir konnten uns nicht mehr vorstellen, dass das alles kippen würde […] Ich erlag, wie viele, der intellektuellen Verführung einer radikalen Kritik an dem durchgehend als inhuman dargestellten kapitalistischen Gesellschaftssystem einerseits und dem Glauben an eine positive Zukunftsversion andererseits.« Für Gaucks politische Entwicklung spielten dabei Begegnungen mit 134 westlichen Pastoren und Kirchenmitarbeitern eine große Rolle. »Wer mit Partnern aus der Jugendarbeit im Westen oder mit Studentenpfarrern sprach, bemerkte einen seit 1968 beständig stärker werdenden Bezug zum linken Denken, manchmal sogar einen ausgesprochenen Linksdrall.«
23 Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die philosophische Fakultät der Universität Jena 2001
Später blickte er kritisch auf seine politische Überzeugung in diesen Jahren zurück. Er ärgerte sich über seine »linksprotestantischen Irrtümer«, wie er sie nannte, die ihn daran gehindert hatten, noch deutlicher in Opposition zum Staat zu treten: »Der Antikommunismus, den mein Umfeld vertreten hatte, […] hatte sich schrittweise verwandelt: An die Stelle der Delegitimierung des Systems war der Wunsch nach einem konstruktiven Dialog und einer zwar kritischen, aber aus taktischen Gründen solidarischen Haltung gegenüber dem real existierenden System getreten.« In dieser Hinsicht ist Gauck mit seiner Selbstkritik zu streng. Während der DDR -Zeit bestand unter allen Beteiligten kein Zweifel, dass Joachim Gauck ein Oppositioneller war. Das sah die Stasi so, das bescheinigte ihm die SED . Etwa der für die Kirchen zuständige Stellvertreter des Rostocker Oberbürgermeisters, Rehfeldt, der über Gauck das Urteil fällte, er gehöre zu den Pastoren, »die ständig für politische Konfliktsituationen sorgen«. Das empfand auch Christoph Kleemann so, der bezeugte, Gauck habe sich von allzu staatskonformen Pastoren klar unterschieden: »Ich habe ihn mitunter als wohltuend provozierend erlebt. Er überzog gerne. Das ist erfrischend in einer Diktatur.«
Warum also entschuldigte Gauck sich dafür, dass er in der Mitte seines Lebens an den Sozialismus geglaubt und nicht noch mutiger gegen den Staat opponiert hatte? Der Grund lag darin, dass sich sein politisches Weltbild in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre und erst recht nach der Wende noch einmal gewandelt hatte. Aus dem Pastor, der 135 zum linken Flügel der DDR -Geistlichen gehört hatte, wurde in den späteren Jahren ein Konservativer. Der fünfzigjährige Gauck hatte nichts mehr mit dem Sozialismus gemein. Im Gegenteil. Zwar wurde er nach der Wende Mitglied von Bündnis 90/Grüne, seine Parteizugehörigkeit währte aber
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