Gauck: Eine Biographie (German Edition)
seinem laubfroschgrünen Trabant Kombi persönlich Essenskübel durch die Gegend zu fahren, damit die Jugendlichen bei kirchlichen Veranstaltungen verpflegt werden konnten. Um Pastorenkollegen, die aufgrund ihres Amtes einen besonderen Stellenwert für sich beanspruchten, machte er einen großen Bogen. »Nicht die Kutte macht den Mönch«, pflegte er dazu zu sagen. Genauso wenig empfand er es als unter seiner Würde, bei einer Weihnachtsfeier für Jugendliche aus Rostocker Gemeinden den Weihnachtsmann zu spielen.
Religiöse Fragen, Glaubens- und Lebensthemen mischten sich in der kirchlichen Jugendarbeit mit Freizeitveranstaltungen. So organisierte Gauck auch mal Ausflüge in die Natur, um zusammen mit den jungen Leuten zu wandern oder einfach nur, um irgendwo im Gras zu sitzen und zu reden. Teilnehmern derartiger Landpartien fiel auf, dass ihr Stadtjugendpfarrer eine enge Beziehung zur Natur hatte und ihm die Ausflüge in ländliche Regionen Mecklenburgs persönlich sehr wichtig erschienen. Die von der Kirche organisierten Freizeitveranstaltungen wurden als »Bibelrüstzeiten« oder »Rüstzeiten« bezeichnet. Da die Gestaltung und Organisation der Freizeit junger DDR -Bürger eine Domäne der staatlichen Jugendorganisation FDJ war, die darauf das Monopol besaß, musste die Kirche für ihre Freizeitveranstaltungen auf einen anderen Begriff ausweichen So kam es zur Bezeichnung »Rüstzeiten«. Dabei handelte es sich um einen innerkirchlichen Begriff der sich von »Zurüsten« ableitete, worunter die Vorbereitung zum Dienst verstanden wurde. Die eingeschränkten Möglichkeiten der 128 Kirche, Freizeitangebote für Jugendliche zu machen, zeigten sich besonders drastisch daran, dass es für kirchliche Organisationen praktisch nicht möglich war, auf DDR -Zeltplätzen mit den Jugendlichen zu zelten. Wenn im Zelt übernachtet werden sollte, mussten Kirchenleute wie Joachim Gauck ins Ausland ausweichen, etwa nach Polen oder Ungarn.
Mehrfach intervenierte der Stadtjugendpastor in den achtziger Jahren bei der Stasi, wenn jugendliche Mitglieder seiner Gemeinde mit dem MfS in Konflikt gerieten. An einem Heiligabend war Gauck aufgewühlt auf der Suche nach einem sechzehnjährigen Mädchen, das seit einigen Tagen spurlos verschwunden war. Seinen Bekannten aus der Jugendarbeit, Rüdiger und Martina Schmidt, berichtete er, dass die Jugendliche angeblich von der Stasi mehrere Tage eingesperrt und verhört worden war, weil sie das Wort »Frieden« an einen Bauwagen geschrieben hatte. Niemand wusste etwas Näheres über ihren Verbleib. Ohne Begleitung ging Gauck zum Dienstgebäude des MfS . Martina Schmidt erinnerte sich: »Gauck war furchtlos und zupackend, kein Herdentier. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann tat er es in Gottvertrauen.« Nach den Feiertagen wurde die Jugendliche freigelassen, ohne dass es zu einer Anklage gegen sie kam. Ende 1983 wurde ein Jugendlicher aus Gaucks Gemeinde von der Stasi massiv bedrängt, als IM für sie tätig zu werden. Mehrfach tauchten MfS -Mitarbeiter bei dem Jungen auf und klingelten an der Wohnungstür, wenn die Eltern gerade nicht zu Hause waren. Der Vater des Teenagers erschien daraufhin mit seinem Sohn bei Gauck und bat den Pastor um Hilfe. Während dem erregten Vater der Schweiß auf der Stirn stand, griff Gauck zum Telefon und beschwerte sich, vermutlich beim Referenten für Kirchenfragen beim Rat der Stadt: »Sagen 129 Sie mal, soll ich das jetzt öffentlich machen, was Sie da so treiben?«
Durch das Amt des Stadtjugendpastors kam Gauck auch beruflich in näheren Kontakt zu Christoph Kleemann, dem damaligen Studentenpfarrer der ehemaligen Hansestadt, die sich in der DDR bis 1990 so nicht nennen durfte. Durch ihre ähnlichen Aufgabengebiete ergaben sich naturgemäß Gemeinsamkeiten. Die Räume der Stadtjugendarbeit befanden sich im gleichen Haus wie die Wohnung des Studentenpfarrers. Studenten gingen auch zu Veranstaltungen des Jugendpfarrers und umgekehrt. Kleemann gewann seinen Amtsbruder mehrfach dafür, in den von ihm verantworteten Friedensgottesdiensten zu predigen. Weil die beiden für die Jugendlichen zuständigen Pastoren aktuelle Themen für ihre Veranstaltungen fanden und diese in einer jugendgemäßen Form präsentierten, stießen sie auf hohe Resonanz. Bis zu vierhundert Menschen, vor allem Jugendliche, besuchten die monatlichen Stadtjugendabende bzw. Friedensgottesdienste. Kleemann erinnerte sich an Gaucks Umgang mit den Jugendlichen: »Er schränkte sie
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