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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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politischen Organisation. Gauck hätte eine Ausnahmegenehmigung seines Landesbischofs einholen müssen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde er dann aber doch noch Sprecher des Neuen Forums.
    Und er unterstützte die neue Bürgerrechtsbewegung aktiv. Das Neue Forum durfte den kirchlichen Kopierer nutzen, der im heruntergekommenen Anbau seines Hauses an der Nikolaikirche stand. Das war eine nicht zu unterschätzende Hilfestellung. Kopiergeräte waren eine Rarität. Es gab in den Rostocker Kirchgemeinden überhaupt nur zwei Stück davon. So konnten Flugblätter hergestellt und in Gottesdiensten ausgelegt werden. Dazu Aufrufe des Neuen Forums oder Alexander Solschenizyns Aufsatz »Lebt nicht mit der Lüge«, der in tausenden Exemplaren reproduziert und verteilt wurde. Auch die Donnerstagspredigten wurden hier 205 vervielfacht, damit sie in den diversen Kirchen verlesen werden konnten. Das war ein »Geschehen zwischen Zittern und Zagen«, erinnerte sich Gauck ein halbes Jahr später, manchmal habe er daran gezweifelt, ob er am nächsten Tag noch an seinem Schreibtisch sitzen würde.

    29  Einsatz für das Neue Forum: Heiko Lietz, Harald Terpe und Joachim Gauck
    Der Pastor gestattete dem Neuen Forum auch, nach seiner Gründung in seinem Hausflur einen Briefkasten mit der Adresse »Nathan Frank« aufzuhängen; Nathan von Nathan dem Weisen und Frank von Anne Frank. Die Anfangsbuchstaben standen für Neues Forum. Interessierte konnten sich so an die Bürgerrechtsbewegung wenden und bekanntgeben, dass sie mitmachen wollten. Das MfS notierte un 206 terdessen: »Für die Formierung der Sammlungsbewegung werden die Potenzen und Strukturen der Kirchen genutzt. Aktivitäten und Demonstrationen erfolgen aus den kirchlichen Räumen heraus.« Eines Tages fand sich der Name Terpe im Briefkasten von Nathan Frank. Gauck war entsetzt: »Jetzt haben wir den Salat, jetzt haben wir schon die Stasi auf dem Zettel.« Gauck glaubte, dass es sich um den Stasihauptmann Wolfgang Terpe handelte, der ihn nach dem Kirchentag in seinem Büro besucht hatte. Tatsächlich hatte sich aber dessen Bruder Harald gemeldet, ein Rostocker Arzt, der sich im Neuen Forum engagieren wollte. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte Harald Terpe den Kontakt zu seinem Bruder Wolfgang abgebrochen, nachdem er zur Überzeugung gelangt war, dass dieser für die Stasi tätig war.

Das Ende der Stasi
    Am 4. Dezember 1989 – ein entscheidendes Datum auf dem Weg zur Entmachtung der SED  – wurden in den Bezirken der DDR die Stasiniederlassungen von Bürgerrechtlern besetzt. Nur in Berlin dauerte es noch bis zum 15. Januar, bis das Stasihauptquartier in der Normannenstraße ebenfalls von Bürgerrechtlern in Besitz genommen wurde. Auslöser für die Aktionen war die Sorge, dass das MfS , das unterdessen in Amt für Nationale Sicherheit ( AfNS ) umbenannt worden war, heimlich seine Akten vernichten könnte. Die Führungskräfte der Staatssicherheit hatten mittlerweile erkannt, dass ihr Auftraggeber, die SED , sie für ihr Wirken in der Vergangenheit nicht hinreichend decken würde.
    In Rostock befahl der regionale Stasichef, Generalleutnant Mittag, schon am 6. November, »Unterlagen, die kei 207 nen operativen Wert haben oder deren Wert angesichts der Lageentwicklung an Bedeutung verloren hat […] kurzfristig zu entnehmen und zur Vernichtung vorzubereiten«. Generalleutnant Wolfgang Schwanitz, Nachfolger des Jahrzehnte amtierenden Stasichefs Erich Mielke, riet seinen Untergebenen Ende November dringend: »Was das Vernichten betrifft, Genossen, besonders in den Kreisdienststellen. Macht das wirklich klug und sehr unauffällig. Wir werden sehr stark kontrolliert […]. Also realisiert die Aufgaben klug und so, wie sie angewiesen wurden. Es hat keinen Zweck, einen Haufen Papier mitzuschleppen, der uns in der gegenwärtigen und künftigen Zeit nichts nützt.« Die Genossen in den Kreisdienststellen machten es weder klug noch unauffällig. In Erfurt beobachteten Bürgerrechtler tagelang, wie dichter Qualm aus den Schornsteinen der Stasizentrale stieg. In einem wahrhaft revolutionären Akt besetzten sie die Bezirksverwaltung des MfS , um eine weitere Aktenvernichtung zu verhindern und das vorhandene Material zu sichern. Wie eine Welle schwappte diese Aktion auf alle anderen Außenstellen der Staatssicherheit über.
    Im Rahmen dieses historischen Dramas erlebten Wolfgang und Harald Terpe ihr ganz eigenes, familiäres. Harald, heute Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis

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