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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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90/Die Grünen, nahm am 4. Dezember 1989 an der Besetzung der Rostocker MfS -Dependance und ihrer Übernahme durch die Bürgerrechtler teil. Spät in der Nacht räumten die Stasiangestellten ihren Arbeitsplatz. Beim Hinausgehen wurden sie von Volkspolizei und Bürgerrechtlern kontrolliert, damit sie nicht heimlich Akten aus dem Gebäude trugen. Als die Geheimpolizisten den riesigen Gebäudekomplex verließen, war das wie die Kapitulation einer Armee. Einen, der in der Uniform und mit den Rangabzeichen ei 208 nes MfS -Hauptmanns an Harald Terpe vorbeischlich, ohne ihn anzusehen, kannte er gut. Es war sein Bruder Wolfgang, der beim » VEB Horch und Guck« zuletzt für Joachim Gauck zuständig war. »So kann es kommen«, sagte Harald Terpe zweiundzwanzig Jahre später, »es war ein Riss durch die eigene Familie.«
    Bei diesem Meilenstein der friedlichen Revolution in Rostock waren ihre wichtigsten Akteure vor Ort. Dietlind Glüer, Axel Peters, Harald Terpe und andere von Gaucks Mitstreitern nahmen in dieser Nacht all ihren Mut zusammen und beteiligten sich an dem riskanten Unterfangen. Das spektakuläre Ereignis sprach sich damals unter den Rostocker Bürgerrechtlern herum wie ein Lauffeuer. Sie benachrichtigten sich gegenseitig persönlich darüber, wo ein Telefon vorhanden war, per Fernsprecher, oder hinterließen einfach einen Zettel bei sich zu Hause: »Bin bei der Stasi«. Gauck, der im Rostocker Neuen Forum zusammen mit Dietlind Glüer und Axel Peters in dieser Phase die »entscheidende politische Troika« gebildet hatte, nahm an der Aktion erstaunlicherweise nicht teil. Er erklärte das im Nachhinein damit, dass er in dieser Nacht stattdessen intensiv mit Mitgliedern aus dem inneren Zirkel der Revolutionsbewegung über die deutsche Einheit diskutiert habe. »Ich wusste, dass Dietlind Glüer und Axel Peters vor Ort waren. Ich habe in intensiven Gesprächen mit beiden darüber nachgedacht, ob wir besetzen sollten. Als ich hörte, dass die anderen Städte mitmachten, habe auch ich meine Zustimmung gegeben. Ich wusste also, es würde laufen. Aber ich brauchte meine Verbündeten für einen wichtigen nächsten Schritt. Wir brauchten eine innere Verständigung über ein strategisches Ziel, das ich als Erster im Neuen Forum aufgegriffen habe, nämlich die Forderung nach der deutschen Einheit. Ich wollte hier einen Richtungswechsel 209 und musste die Basisversammlung des Neuen Forums, die wenige Tage später stattfand, vorbereiten. Den jungen Leuten war aber das Thema deutsche Einheit fremd und auch suspekt. Ich brauchte intensive Debatten, um sie politisch auf die Linie derer zu bringen, die in Sachsen schon sehr deutlich die Einheit forderten.«
    Es klingt nicht überzeugend, dass diese Diskussion ausgerechnet an diesem Tag geführt werden musste und dass sie wichtiger gewesen sein soll als die Besetzung der Rostocker Dependance der Stasi. Gauck drängte es offensichtlich nicht, an der Aktion teilzunehmen, und er setzte andere Prioritäten. Der Grund dafür liegt in seinem Wesen. Er war grundsätzlich ein Mann der Ordnung, kein Revoluzzer. Vermutlich wollte er das persönliche Risiko, das mit der Besetzung der Rostocker Stasizentrale verbunden war, nicht eingehen. Darum hielt er sich fern. Dazu sei erwähnt, dass Joachim Gauck dieser Beurteilung der Situation heftig widersprochen hat.

Bürgerrechtler
    In den Gesprächen und Verhandlungen zwischen Bürgerrechtsbewegung und dem Staat trat eine weitere Begabung Joachim Gaucks zutage. Er erwies sich als unnachgiebiger und sehr erfolgreicher Verhandlungsführer für das Neue Forum. Harald Terpe erlebte Gauck in den Auseinandersetzungen mit der SED -Bezirksleitung als besonders »nervenstark, sehr konsequent und nicht nachgebend«. Der »Revolutionspfarrer« nutzte die Verunsicherung der Mächtigen und trat für das Neue Forum mit einem Machtanspruch auf, der in keinem Verhältnis zur wirklichen Stärke der Bürgerrechtler stand. Bei einer Verhandlung im Rostocker Rathaussaal erklärte Genosse Hass, stellvertretender Vorsitzen 210 der des Rates des Bezirks, dass eine Demonstration vor dem Gebäude der Rostocker Staatssicherheit keinesfalls in Betracht komme. Gauck ließ sich nicht einschüchtern. Der Protest der Bevölkerung richte sich ja gerade gegen die Stasi, erklärte er, weshalb eine Demonstration vor dem Gebäude der Stasi sicher stattfinden werde. »Gauck ist nicht zurückgewichen. Er hat auch taktiert. Aber er hat die Spielräume bis zum Anschlag ausgenutzt«,

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