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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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Staatssicherheitsdienstes der DDR gewählt. Er war zufrieden. »Dass ich […] diese Koalition der Vernunft in der Volkskammer geschmiedet habe, betrachte ich als mein eigentliches politisches Werk. […] Mit dem Amt des Sonderbeauftragten haben sie mich dafür quasi belohnt.« Tatsächlich herrschte damals ein breiter Konsens, dass die integrativen Fähigkeiten des Ausschussvorsitzenden ausschlaggebend dafür gewesen waren, dass sich über die Fraktionsgrenzen hinweg in der Volkskammer eine einheitliche Meinung zur Stasithematik hatte herausbilden können. Jens Reich: »Er war als Kandidat für alle Parteien akzeptabel, weil er keine ausgewiesenen Loyalitäten pflegen musste […] Der Westen hat alle Vorstellungen des Ostens zu Fragen des Eigentums oder der Verfassung einfach weggewischt. Dass es gelang, die Akten dezentral zu lagern und sie der Forschung und der Bevölkerung zugänglich zu machen, ist ein historisch einmaliger Erfolg.« Diesem Urteil ist zuzustimmen. Ohne den nachhaltigen Einsatz von Joachim Gauck für den Erhalt der Stasiakten und ihre Verwahrung in einer eigenständigen Behörde würde es die BStU in ihrer heutigen Form nicht gegeben. Ein Reihe ehemaliger IM , die nach der Wende eine prominente Stellung im öffentlichen Leben einnahmen, wären wohl nie enttarnt worden. Schließlich und nicht zuletzt: Die umfangreiche Entfernung von stasibelasteten Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst hätte in der Konsequenz und in dem Umfang, wie sie erfolgte, ohne Gaucks Wirken so nicht stattgefunden.
    Als feststand, dass man ihm das Amt des Sonderbeauftragten übertragen würde, wurde ihm mulmig zumute. Sollte er die Aufgabe wirklich annehmen? Er war immer davon ausgegangen, dass er nach seiner Zeit als Abgeordneter 252 wieder nach Rostock und in sein Pastorenamt zurückkehren würde. Jetzt war er gezwungen, eine elementare Lebensentscheidung zu treffen. Sollte er zum Langbewährten und Vertrauten zurückkehren oder unwiderruflich ein neues Leben beginnen? Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Wieder einmal zögerte er. Seine Frau und seine jüngste Tochter Katharina hätten es gern gesehen, wenn er sich für ein Familienleben mit ihnen entschieden hätte und nach Hause zurückgekehrt wäre. Sie wussten um seine Zweifel und hatten bis zuletzt darauf gehofft, dass er das Amt nicht annehmen würde. Es ging bei der Entscheidung nicht nur um den beruflichen Neuanfang, sondern auch um die Trennung von seiner Frau. »Er hat gefürchtet, dass seine Ehe dann in die Brüche geht«, erinnerte sich sein damaliger Nachbar Henry Lohse. Gauck war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Wochen mit einer neuen Partnerin in Berlin liiert.
    Er suchte Rat in Gesprächen mit Vertrauten, etwa mit Henry Lohse: »Mensch, ob ich das machen soll? Ich würde schon gerne, aber ich habe Zweifel.« Er traf sich mit seinem Landesbischof Christoph Stier und wälzte die Entscheidung vorwärts und rückwärts. Eines war klar, wenn er nach Berlin gehen würde, musste er sein Pastorenamt endgültig aufgeben. Sogar seine Ordinationsurkunde zurückgeben. Gerade das widerstrebte ihm in besonderem Maße. Er hatte sein ganzes Berufsleben in der Kirche verbracht. Hier war er verwurzelt, hier war seine geistige und geistliche Heimat. Später sollte er sagen: »Was ich geworden bin – und wie ich es geworden bin: Das alles hat seine Wurzeln in der Kirche.« Irgendwie war er nicht bereit zu akzeptieren, dass es nicht möglich sein sollte, das neue Amt anzunehmen und zugleich Pastor zu bleiben. Schließlich entschloss er sich, den Sprung in ein neues Leben zu wagen. Schweren 253 Herzens beantragte er die Entlassung aus dem Dienst seiner Kirche. Seine Entlassungsurkunde, mit Wirkung zum 30. November 1990, hielt in trockenen Sätzen fest: »Gemäß § 12 Absatz I (b) des Pfarrerdienstgesetzes hat er das Recht zur öffentlichen Verkündung des Wortes Gottes und zur Verwaltung von Taufe und Abendmahl einschließlich des Rechtes zur Führung der Amtsbezeichnung ›Pfarrer‹ oder ›Pastor‹ sowie das Recht zum Tragen der Amtskleidung verloren.« Das dürfte Gauck weniger geschmerzt haben als die Tatsache, dass er gleichzeitig seine Versorgungsbezüge verlor, die er über ein Vierteljahrhundert aufgebaut hatte: »Gleichzeitig verliert er für sich und seine Angehörigen alle in dem bisherigen Dienstverhältnis begründeten versorgungsrechtlichen Ansprüche und Anwartschaften.« Der Entschluss, völlig neu anzufangen, hatte einen hohen Preis.
    Am

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