Gauck: Eine Biographie (German Edition)
ihrem Partner neue Perspektiven. Ein Teil ihrer polnischen Freunde aus der Opposition kam aus dem kommunistischen Umfeld. Für Joachim Gauck, den glühenden Verächter des Kommunismus nicht nur stalinistischer Prägung, war es eine interessante und bewegende Erfahrung, wie gut er sich, trotz ihrer gegensätzlichen politischen Einstellung, mit ihnen unterhalten konnte. Hirsch begleitete ihren Partner auf Vortragsreisen nach Paris und Budapest. Auch Israel besuchten sie gemeinsam, wo der ehemalige Pastor »auf biblischen Pfaden wandelte«, wie es Helga Hirsch ausdrückte. Regelmäßig einmal im Jahr machten sie gemeinsam Urlaub in Wustrow. Anders als für ihren Freund war das kleine Ost 262 seedorf für Helga Hirsch nicht das Ziel ihrer Reiseträume. Sie hätte gern auch einmal neue, unbekannte Ziele kennengelernt.
33 Mit seiner Lebensgefährtin Helga Hirsch bei einem Urlaub in der Schweiz
Wie in jeder Beziehung war nicht alles Gold, was glänzte, auch im gemeinsamen Leben von Gauck und Hirsch gab es Reibungspunkte. Nur die »Frau an seiner Seite« zu sein, empfand Hirsch als schwierig. »Ich hatte als Korrespondentin in Warschau einen großen Bekanntenkreis und kannte mich gut in polnischen Belangen aus. Ich war damals in Polen ziemlich bekannt, galt in der Warschauer Politszene als ›eine von uns‹. Da ich die meiste Zeit in Polen lebte, hatte ich wenig Ahnung davon, was um Joachim in Berlin im De 263 tail vor sich ging. In Warschau fühlte ich mich zu Hause, in Berlin war ich zu Besuch.« Gauck und Hirsch diskutierten viel miteinander, über Ost und West, Opposition in der DDR und Opposition in Polen, Nationalsozialismus und Stalinismus, Aufarbeitung im Rechtsstaat und überhaupt über die Haltung zum Leben. Hirsch: »Jochen hat tendenziell Angst vor Dissonanzen, Aggressionen und Brüchen – mich hat es als Journalistin nicht selten dahin gezogen, wo es um eben solche Brüche und gewalttätige Spannungen ging, wie etwa in Jugoslawien.« Als Hirsch während des Krieges in Jugoslawien mehrfach beruflich dort hinreiste, war das ihrem Lebensgefährten nicht geheuer. »Der Tod zieht dich doch an«, warf er ihr einmal vor. 1998 trennte sich Hirsch von Gauck. »Ich bin dann gegangen. Es war mir zu viel Nähe, das hat mich in Panik versetzt. Mir war das alles zu dicht, denn im Grunde bin ich kein Typ fürs Zusammenleben.« Andere dagegen vertraten die Meinung, dass Hirsch Gauck verließ, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass ihr Lebensgefährte dauerhaft nicht bereit war, sich von seiner Frau Hansi scheiden zu lassen.
Aber auch nach ihrer Trennung verband die beiden eine dauerhafte, enge Freundschaft, eine »Seelenverwandtschaft«, wie Hirsch es empfindet. Neben Gaucks heutiger Lebensgefährtin, Daniela Schadt, ist Helga Hirsch die engste Freundin des Bundespräsidenten. Bis heute arbeiten die beiden immer wieder beruflich zusammen. So unterstützte Hirsch ihren ehemaligen Partner bei seinen beiden Kandidaturen für das Amt des Bundespräsidenten. 264
Bau auf, bau auf
Joachim Gauck gehörte zu jenen hundertvierundvierzig Abgeordneten, die von der Volkskammer mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 in den nunmehr gesamtdeutschen Bundestag delegiert worden waren. Gleich am nächsten Tag legte er sein Bundestagsmandat nieder. Es war mit seiner Funktion als Leiter einer Bundesbehörde seiner Meinung nach nicht vereinbar. »Ich dürfte der Parlamentarier mit der kürzesten Amtszeit im Deutschen Bundestag gewesen sein«, schrieb er in seinen Erinnerungen, »aber dieser eine Tag als Abgeordneter des Deutschen Bundestages war mir wichtig.« Zur selben Zeit trat er aus dem Bündnis 90 aus. Zu groß waren die inhaltlichen Differenzen zwischen ihm und den meisten seiner Parteifreunde geworden. Er wollte die neue Behörde führen können, ohne Rücksicht auf parteipolitische Zwänge nehmen zu müssen. Seither gehörte Joachim Gauck keiner Partei mehr an.
Das Amt des Sonderbeauftragten für die Stasiunterlagen war eine der schwierigsten Verwaltungsaufgaben, die im wiedervereinigten Deutschland zu vergeben waren. Der Ex-Pastor und Ex-Volkskammerabgeordnete verfügte über keinerlei Erfahrung in der staatlichen Verwaltung. Schlimmer noch, Verwaltungsarbeit und Mitarbeiter zu führen war ein Metier, das ihm nicht lag. Selbst Briefe beantworten fiel ihm gelegentlich schwer, gar nicht zu reden vom Ausfüllen von Statistiken. Und Abrechnungen konnte er jahrelang liegenlassen. So war es nicht verwunderlich, dass einige seiner
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