Gauck: Eine Biographie (German Edition)
nicht allein lösen konnte, sondern die Hilfe von Verwaltungsfachleuten benötigte, spürte er zugleich einen Widerwillen, sich komplett den westdeutschen Profis aus dem Innenministerium anzuvertrauen. »Nun waren Spezialisten gefragt, und Spezialisten waren wir nicht. Die waren drüben. Und so kam zu der alten Erfahrung von Ohnmacht ein neues Gefühl von Ungenügen.« Geiger war die Zielrichtung des Innenministeriums klar. »Die wollten das in der Hand haben, damit es ordentlich und in ihrem Sinne läuft. Herr Gauck hätte dann zusehen können, wie westdeutsche Beamte die Aufgabe entsprechend ihren Kriterien erledigten.« Geiger weiter: »Gauck hatte zu Recht ein Gefühl des Unbehagens. Er spürte, dass ihm das Zepter aus der Hand genommen worden wäre, wenn er die Bonner hätte gewähren lassen. Ich sorgte dann dafür, dass die Arbeitsgruppe aus dem Innenministerium etwas beiseitegeschoben wurde«.
Gaucks Arbeitsweise
Nach Einschätzung von Hansjörg Geiger war es anfänglich irritierend für Gauck, dass sein Vize sich als ihm ebenbürtig verstand. Geiger ohne falsche Bescheidenheit: »Ich habe 268 mich nicht als Untergebener verstanden. Wir haben das in vielerlei Hinsicht im Sinne einer Aufgabenteilung gemeinsam gemacht. Auch in der damaligen Zeit hat man uns als Duo verstanden.« Geigers Sekretärin, Silvia Tzschentke, die in einem Doppelsekretariat auch für Gauck tätig war, bestätigte das: Es war eine »Symbiose, perfekt für diese Zeit, perfekt für diese Behörde«. Tzschentke über die tägliche Zusammenarbeit ihrer beiden Chefs: »Geiger kam um acht Uhr, Gauck um neun Uhr, abends ging es meist bis spät in die Nacht hinein. Jeder von beiden hat zu offiziellen Briefen oder Positionspapieren eigene Formulierungen eingebracht. Geiger hat das dann umgesetzt. Bevor er ein Papier unterschrieb, fragte Gauck immer bei uns Sekretärinnen nach: ›Ist das mit Geiger abgestimmt?‹ Er hat sich sehr auf ihn verlassen. Ich hatte das Gefühl«, meinte Tzschentke, »die sind sich sehr nahe, das sind richtig dicke Kumpels.« Ein Bild von Gauck hatte sich der Chefsekretärin besonders eingeprägt: »Ich sehe ihn noch, wie er seine Tür aufreißt, hinter sich zuknallt, durch das Sekretariat läuft, Geigers Tür aufreißt und hinter sich zuknallt.«
Tzschentke weiter: »Von Verwaltung hatte Gauck null Ahnung und war darum sehr angewiesen auf ein gut funktionierendes Sekretariat. Er war immer in Gedanken, rief einem manchmal nur ein Wort zu, daraus musste man dann etwas machen.« Gaucks Schwester Sabine erlebte ihren Bruder im privaten Bereich ähnlich. »Er ist mit seinen Gedanken immer woanders.« Dieser Wesenszug, intensiv seinen Gedanken nachzuhängen, hatte eine auffällige Schusseligkeit Gaucks zur Folge. Ständig ließ er irgendwo persönliche Gegenstände liegen: seinen Kalender im Zug, das Portemonnaie und den Haustürschlüssel in der Plastikschale bei der Flughafenkontrolle. Mal vergaß der Behördenchef seine Aktentasche auf dem Rücksitz eines Taxis. Dann wie 269 der meldete sich ein Mitarbeiter vom Kaufhof in der Chefetage der BStU : »Wir haben die Geldbörse von Herrn Gauck gefunden, mit allen Karten drin.« Gaucks Vergesslichkeit ging so weit, dass enge Mitarbeiter in der Behörde sich gegenseitig ermahnten: »Geben Sie Herrn Gauck bloß keine Unterlagen mit, seine Aktentasche ist ein Bermudadreieck.« Weil Gauck ständig seine Brille verlegte, schenkten ihm seine Sekretärinnen an einem seiner Geburtstage ein Bäumchen mit Lesebrillen. »Das waren bestimmt fünfzehn Stück. Nach einem halben Jahr waren alle weg. Er hatte sich draufgesetzt oder sie verloren.«
Als Vorgesetzter konnte Gauck sehr charmant sein und brachte seinen Sekretärinnen an ihren Geburtstagen Blumen mit. Andererseits konnte er auch durchaus gereizt reagieren, wenn man ihn in seinen Gedanken störte. Als Geigers Sekretärin ihm einmal Stullen schmierte, weil er den ganzen Tag nichts gegessen hatte, und ihm diese ins Zimmer brachte, fuhr er sie an: »Frau Tzschentke, Sie sind nicht meine Mutter!« Regelmäßig versuchte Gauck sich vor der Bearbeitung der Post oder dem Leisten von Unterschriften zu drücken: »Ach, das kann ich doch noch morgen machen«, sagte er dann zu seinen Sekretärinnen. Die mussten ihn ständig drängen, tätig zu werden. »Jetzt müssen sie mal zu Potte kommen!« Irgendwann fügte sich ihr Chef dann auch. »Die guckt mich jetzt schon wieder so böse an, dann muss ich das jetzt wohl machen.«
Hansjörg Geiger
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