Gauck: Eine Biographie (German Edition)
leistete die eigentliche Aufbau- und Verwaltungsarbeit, während Gauck die Behörde repräsentierte. Der Sonderbeauftragte verstand sich als moralische und überparteiliche Instanz, zuständig für die grundlegenden Weichenstellungen. Sein persönlicher Beitrag zum organisatorischen Aufbau seiner Behörde war gering. In seinem Büro war der Sonderbeauftragte nicht ständig anzutreffen, 270 sondern oft zu Besprechungen unterwegs. Die Details des künftigen Stasiunterlagengesetzes mussten in Bonn verhandelt werden, die Bürgerrechtler über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten werden. Gerne führte er Gäste persönlich durch das Archiv, unter anderen Angela Merkel. Einer seiner Untergebenen urteilte über Gaucks Arbeitsstil: »Er schwebte in den höheren Sphären, war viel unterwegs, auch international. Er repräsentierte die Behörde, hielt Vorträge und hat unser Anliegen unglaublich überzeugend vertreten.«
34 Der Sonderbeauftragte mit einer von der Stasi angelegten Geruchsprobe
Gauck wusste natürlich, was er an seinem Direktor hatte, und lobte Geiger später in den höchsten Tönen: »Er war der 271 juristische Mentor für unsere Juristen ebenso wie für die vielen Neueinsteiger und ganz besonders für mich.« Nach der Einschätzung von Hansjörg Geiger kam es nur einmal zu einer ernsthaften Verstimmung zwischen ihm und Gauck, nämlich als der Bundesbeauftragte den Eindruck gewann, Geiger säge an seinem Stuhl und versuche, sich als sein Nachfolger zu positionieren. Doch Geiger hatte eigene Pläne und konnte Gaucks Misstrauen schnell ausräumen. 1995 verließ er die Behörde, um Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu werden, ein Jahr später wechselte er in die Position des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes. Schließlich beendete er seine berufliche Karriere als Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Als Geiger die Behörde verließ, war das für Joachim Gauck ein bitterer Moment. »Da habe ich ihn traurig gesehen wie nie«, erinnerte sich Silvia Tzschentke. Gauck selbst klagte: »Als diese Führungspersönlichkeit, die sich im besten Sinne des Wortes als Diener des Gemeinwesens erwiesen hatte, die Behörde verließ, war das ein herber Verlust.« Siebzehn Jahre später bedankte sich Gauck noch einmal bei Hansjörg Geiger. Im November 2012 verlieh er seinem ehemaligen Direktor im Schloss Bellevue persönlich den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.
Personalpolitik
Das Hauptproblem in den ersten Monaten war, genügend qualifizierte Mitarbeiter zu finden, mit deren Hilfe man die Flut von Auskunftsersuchen bewältigen konnte. Bis 1993 sollte die Behörde des Bundesbeauftragten auf rund dreitausenddreihundert Mitarbeiter anwachsen. Irgendwann in diesen Tagen klagte Gauck laut Aussage von Schäubles Staatssekretär Hans Neusel: »Sagen Sie mal, wie soll ich das be 272 werkstelligen? Soll ich das mit Friseuren und Bäckern machen?«
Die Besetzung einiger Stellen erfolgte anfangs per Handschlag, die Verwaltung kam nicht immer damit hinterher, die benötigten Arbeitsverträge rechtzeitig zu erstellen. »Du fängst gleich nächste Woche an«, erinnerte sich Klaus Richter an seine Einstellung im Februar 1991, seinen Arbeitsvertrag bekam er erst zwei Wochen später. Ähnlich war es bei Geiger. »Mein Gehalt zahlte weiterhin der Freistaat Bayern. Bis ich offiziell abgeordnet wurde und eine entsprechende Urkunde erhielt, hat es noch Monate gedauert. Richtig übernommen […] wurde ich erst im Jahr 1992.«
Bei der Auswahl des einzustellenden Personals legten Gauck und Geiger Wert darauf, dass ihre Mitarbeiter überwiegend aus den neuen Bundesländern kamen. Darüber hinaus bauten sie auf »vorwiegend ältere, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«. Mit dieser Einstellungspraxis setzten Gauck und Geiger einen bewussten Kontrapunkt in die damalige Landschaft, die von der Abwicklung von Betrieben und Massenentlassungen geprägt war, wovon in erster Linie ältere Arbeitnehmer betroffen waren. Durch die vielen Einstellungen in kürzester Zeit war eine ordentliche Einarbeitung des neuen Personals naturgemäß nicht möglich. »Bei den massenhaften Einstellungen wurden zwangsläufig Einäugige, die bereits erste Erfahrungen gemacht hatten, zu den Vorgesetzten und Anlernern der nächsten Welle von Neuen«, erinnerte sich Klaus Richter. 273
Akteneinsicht
Schon zu Volkskammerzeiten hatte es eine Vielzahl von Wünschen, sowohl aus der Bevölkerung als auch von staatlichen
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