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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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ehemaligen Mitstreiter in Rostock sich »vor Lachen den Bauch hielten«, als sie erfuhren, dass Gauck Chef einer Großbehörde werden sollte. »Für den Umgang mit der für uns neuen Bürokratie hatte er wenig Sinn«, meinte etwa sein Freund Klaus Richter. 265
    Nun sollte Gauck also eine Organisation aufbauen, von der am 3. Oktober 1990 nichts, wirklich nichts existierte, außer einem Chef und drei Mitarbeitern, die alle keine Verwaltungserfahrung besaßen. Zugleich sollte diese Behörde von der Stunde null an im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Die Aufdeckung des unglaublichen Umfangs, in dem die aus der DDR stammende Führungselite früher als IM tätig gewesen war, wurde ab Ende 1990 zur Zerreißprobe für die deutsche Gesellschaft. Gauck fiel die Aufgabe zu, diesen Prozess als die entscheidende Autorität zu begleiten und mitzugestalten.
    Zum Start blieben Gauck und seine drei Mitarbeiter, die er aus dem ehemaligen Sonderausschuss der Volkskammer übernommen hatte, einfach in den Räumen sitzen, in denen sie schon bisher gearbeitet hatten. Neben David Gill waren das Christian Ladwig, ein ehemaliger Bühnenbildner und Gaucks persönlicher Referent in der Volkskammer, sowie dessen Frau Elisabeth, die die Sekretariatsarbeiten erledigte. David Gill berichtete über den Start der »Behörde«: »Wir fingen einfach an. Ich war am Anfang ›Mädchen für alles‹, habe Journalisten durch das Haus geführt, war die rechte Hand von Gauck und leitete das Recherchereferat.« In den ersten Tagen herrschte eine Atmosphäre wie in einer Wohngemeinschaft, alles wurde basisdemokratisch gemeinsam besprochen. Gill und seine damalige Freundin, die zu Hause keine Dusche hatten, nutzten ab und zu das Badezimmer, das zu den Büroräumen gehörte. Wenig später wurde das gekachelte Bad zum weiteren Arbeitsplatz umfunktioniert und die Registratur der Behörde darin untergebracht.
    Die Arbeitsbedingungen waren gemessen an heutigen Maßstäben unvorstellbar. Es gab weder ausreichend funktionierende Telefonverbindungen noch eine brauchbare 266 Büroausstattung. Die Behördenführung hatte kaum Ahnung von dem Inhalt und der Aussagekraft der Akten, um die es ging. Eine einzige mechanische Schreibmaschine stand zur Verfügung, und bei der war das »e« kaputt. Zwei Monate später zogen Gauck und seine Mitarbeiter in die Behrenstraße, hinter der Komischen Oper, wo ein Büro in der zweiten Etage bezogen wurde. Hier bekam der Sonderbeauftragte erstmals ein eigenes Büro. Gauck wusste, dass er unverzüglich jemanden mit juristischer Kompetenz und Verwaltungserfahrung benötigte, um seine diesbezüglichen Defizite zu kompensieren. Durch eine Empfehlung stieß er auf Hansjörg Geiger, damals Referatsleiter beim bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, und machte ihm das Angebot, Direktor der neuen Behörde zu werden. Der selbstbewusste bayerische Jurist akzeptierte, was sich für seinen Behördenchef als Glücksgriff erweisen sollte. Ohne Hansjörg Geiger wäre die Geschichte der Behörde, aber auch die Karriere von Joachim Gauck vermutlich anders und wohl weniger erfolgreich verlaufen. Fünf Jahre lang sollten Gauck und sein Direktor Tür an Tür zusammenarbeiten und alle politischen Stürme, die über ihre Behörde fegten, gemeinsam durchstehen. Geiger schuf die organisatorischen Grundstrukturen, lieferte das juristische Know-how und beriet Gauck auch privat, etwa im Hinblick auf die Trennung von seiner Frau oder in Steuerangelegenheiten.
    Im Bundesinnenministerium war man irritiert. Wolfgang Schäuble hatte einen elf Mann starken Aufbaustab nach Berlin geschickt, um der seinem Ministerium zugeordneten Behörde auf die Beine zu helfen. Ganz unkonventionell war der für Haushaltsangelegenheiten zuständige Beamte mit zwanzigtausend D-Mark in bar erschienen, mit denen man die ersten, unverzichtbaren Anschaffungen tätigen konnte. 267 Und jetzt besetzte dieser »grüne Ossi« auf eigene Faust die wichtigste Position, ohne sich vorher abzustimmen. Gauck erinnerte sich: »In Bonn spürte ich Befremden, weil ich Geiger einstellen wollte. Man hielt mich dort für wenig berechenbar, eigensinnig – eben ein Abgeordneter aus dem Bündnis 90.« Geiger hatte ähnliche Empfindungen: »Die dachten, jetzt kommt da ein ›grüner Zausel‹ aus Bayern.« Der zuständige Ministerialdirektor atmete erleichtert auf, nachdem er Geiger persönlich kennengelernt hatte.
    Obwohl sich Gauck vollkommen klar darüber war, dass er die Aufgabe

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