Gaunts Geister - Band 1-3
sanften,
musikalischen Lautperlen.
»Warum hast du deine Männer im
Stich gelassen?«, fragte sie.
Er zitterte, entzog seine Hände
ihrem Griff und stolperte weg von ihr. »Sag das nicht!«
»Larkin ... Warum hast du das
getan?«
»Frag mich nicht! Frag nicht!«
»Streitest du es ab?«
Er stieß gegen eine Säule auf
der anderen Seite des mit Trümmern übersäten Mittelgangs und drehte sich mit
gehetztem Blick wieder zu ihr um. Sein Blickfeld pulsierte jetzt, und Lichter
tanzten und huschten hindurch. Sie schien weit weg zu sein und dann wieder
riesig und direkt vor ihm zu stehen. In seinen Eingeweiden rumorte es
unangenehm.
»Ob ich es abstreite? Ich ...
Ich habe sie gar nicht verlassen ... Ich ...«
Der Engel erhob sich und wandte
sich von ihm ab. Er konnte sehen, wie ihre silbrig-goldene Lockenpracht zwischen
den kraftvollen zusammengefalteten Flügeln, die aus Schlitzen in ihrem
golddurchwirkten Seidengewand hervortraten, bis zu den Hüften fiel. Ihr Kopf war
geneigt. Nach einer längeren Pause sagte sie wieder etwas.
»Kommissar Gaunt hat seine
Geschütztrupps in den Aquädukt geschickt, um heimlich und unbemerkt in die Stadt
einzudringen. Das Primärziel war Nokad persönlich. Warum?«
»T-töte den Kopf, und der Leib
stirbt! Gaunt sagte, wir würden die Stadt nicht in einem Jahr erobern, wenn
Nokads charismatischer Führerschaft kein Ende bereitet würde! Der ganze
Stadtstaat ist zu seiner Doktrinopolis geworden, zum Urquell seines Kults, um
den betrügerischen Charme seines Feingefühls in den anderen Stadtstaaten dieser
Welt und darüber hinaus auszustreuen und zu verbreiten!«
»Und was hast du getan?«
»W-wir sind in die Kanäle des
Aquädukts eingedrungen. Rawnes Kompanie ging voran, um das Feuer auf sich zu
ziehen und die Abwehr zu durchbrechen. Corbecs Trupp folgte ihm, um im
Tohuwabohu der Kämpfe durch die Kanalgräben in die Stadt einzudringen.«
»Wärt ihr nicht ertrunken?«
»Die Kanäle sind seit sechs
Monaten trocken. Sie waren vermint und verdrahtet, aber wir hatten Suchgeräte.«
»Du warst bei Corbecs
Kompanie?«
»Ja. Ich wollte nicht gehen ...
Feth! Ich hasste die Vorstellung, ein Selbstmordunternehmen wie dieses
auszuführen, aber ich bin Corbecs Scharfschütze — und sein Freund. Er hat
darauf bestanden.«
»Warum?«
»Weil ich Corbecs Scharfschütze
bin und sein Freund!«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht!«
»Könnte es daran liegen, dass
du der beste Schütze des ganzen Regiments bist? Dass, wenn überhaupt jemand Nokad
ins Visier bekommen kann, du dieser Mann bist? Könnte es Corbec, deinem Freund,
widerstrebt haben, dich mitzunehmen? Könnte er befürchtet haben, du könntest durchdrehen,
wenn es zu heftig würde?«
»Das weiß ich nicht!«
»Denk darüber nach! Könnte er
beschlossen haben, dich am Ende eben doch mitzunehmen, wie hoch das Risiko und
wie labil dein Geisteszustand auch sein mochte, weil du trotzdem der beste Schütze
des Regiments bist? Könnte er das an dir geschätzt haben? Könnte er diese deine
Fähigkeit trotz des Risikos gebraucht haben?«
»Sei still!«
»Könntest du ihn im Stich
gelassen haben?«
Larkin schrie auf und presste
sein Gesicht auf den Steinboden.
Sein drahtiger Körper fing an
zu zucken, als der Sturm des Wahnsinns, die Flutwelle der Angst ein neues Hoch
in seinem tosenden Schädel erreichte. Er sah jetzt nur noch Farben: Sein
Blickfeld war ein verschwommenes Neonkaleidoskop.
»Und was hast du getan? Das
Feuergefecht im Kanal. Nahkampf. Lopra tot, den Kopf weggeschossen. Castin aufgeschlitzt.
Hech, Grosd, die anderen, das Geschrei, der neblige Rauch brennenden Blutes.
Corbec brüllte nach Verstärkungen, während Dolche aus Licht durch die Luft zuckten.
Und was hast du getan?«
»Nichts!«
»Nicht nichts. Du bist
gelaufen. Du bist weggelaufen. Du bist gelaufen und gelaufen und gelaufen und
hier angekommen. Und hast geschluchzt und gekotzt und dir in die Hose gemacht.«
»Nein ...«, hauchte Larkin,
immer noch mit dem Gesicht auf dem kalten Boden. Er hatte jetzt das Gefühl,
sich in einem Vakuum zu befinden. Es gab kein Hören, kein Sehen, keine
Schmerzen. Nur ihre Stimme.
»Du hast sie im Stich gelassen.
Das macht dich zu einem Deserteur.«
Larkin schaute jäh auf. Der
Engel stand vor dem Reliquienschrein und hob den beschlagenen Holzdeckel an. Sie
holte etwas heraus, setzte es sich auf den Kopf und glättete ihre
silbrig-goldenen Haare unter dem Schirm. Es war eine Mütze. Die Regimentsmütze
eines Kommissars.
Weitere Kostenlose Bücher