Gaunts Geister - Band 1-3

Corbec
wie angewurzelt stehen, als sei er gestochen worden. In seinem Ohr war ein
Keuchen. Ihm ging auf, dass es aus dem Ohrhörer seines Helmkoms drang. Ein
überwältigendes Gefühl der Erleichterung darüber, dass das Komnetz überhaupt
noch aktiv war, überkam ihn, auch wenn er gleich darauf erkannte, dass es eine
Kurzstreckensendung von Mkoll war, dem Sergeant der Späher-Einheit.
    »Können Sie das hören,
Oberst?«, ertönte Mkolls Stimme.
    »Feth! Was soll ich hören
können?«, fragte Corbec. Er konnte lediglich das unablässige Donnern der
feindlichen Geschütze und das Beben der einschlagenden Granaten hören.
    »Trommeln«, sagte
Späher-Sergeant Mkoll.
    »Ich kann Trommeln hören.«
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    Brin Milo hörte die Trommeln
eher als Gaunt. Dieser schätzte die regelrecht übernatürlich scharfen Sinne
seines Musikers sehr, aber manchmal bestürzten sie ihn auch. Sie erinnerten ihn
manchmal an jemanden. Vielleicht an das Mädchen von vor einigen Jahren. Das
Mädchen mit dem zweiten Gesicht, das noch viele Jahre danach in seinen Träumen
herumgespukt war.
    »Trommeln!«, zischte der Junge
— und einen Moment später hörte Gaunt das Geräusch ebenfalls.
    Sie marschierten durch die
Silos und die ausgebrannten Gebäude der industriellen Manufakturen dicht hinter
den Linien der Shriven, verrußte Ruinen aus geschmolzenem Gestein, verrosteten
Metallträgem und geborstenem Keramit. Gargyle zum Schutz gegen eine
Kontaminierung der Gebäude waren verunstaltet oder umgestürzt worden. Gaunt war
außerordentlich vorsichtig. Die Kampfhandlungen des Tages hatten eine
unerwartete Wendung genommen. Dank glücklicher Fügungen und eines harten
Befehls von Dravere waren sie viel weiter vorgerückt, als dies nach der simplen
Abwehr eines feindlichen Angriffs zu erwarten gewesen wäre. Sie hatten die
Front der feindlichen Linien erreicht und sie generell verlassen vorgefunden,
als hätte sich die Mehrheit der Shriven in aller Eile zurückgezogen. Zwar
versperrte ihnen ein Artillerievorhang die Rückzugslinien, aber Gaunt hatte
dennoch das Gefühl, als hätten die Shriven einen großen Fehler gemacht und sich
in ihrem Bemühen, dem Gegenangriff der Armee und ihrem eigenen Artilleriefeuer
auszuweichen, zu weit zurückgezogen. Entweder das, oder sie verfolgten damit
einen Plan. Dieser Gedanke gefiel Gaunt nicht sehr. Er hatte zweihundertdreißig
Männer in einer lang gezogenen Kolonne bei sich, aber ihm war auch klar, dass
er im Falle eines Gegenangriffs der Shriven vermutlich auf sich allein gestellt
sein würde.
    Auf ihrem Vormarsch
untersuchten sie jeden geschwärzten Fabrikbunker, jedes Lagerhaus und jeden
Hochofen nach Spuren des Feinds und marschierten dabei durch flatternde,
zerrissene Banner und über knirschende Buntglassplitter. Maschinen waren
ausgeschlachtet und abtransportiert oder einfach mutwillig zerstört worden.
Hier gab es nichts Intaktes mehr — abgesehen von den Chaos-Schreinen, welche
die Shriven in regelmäßigen Abständen errichtet hatten. Wie Oberst Corbec ließ
der Kommissar einen Flammenwerfer kommen, um jede Spur dieser Frevel
auszulöschen. Doch ironischerweise bewegte er sich genau in entgegengesetzter
Richtung wie Corbec durch die Gräben. Die Verbindung zwischen ihnen war längst
abgerissen, und die Durchbruchselemente des Ersten und Einzigen
Tanith-Regiments marschierten blind und ziellos durch ihrer Einschätzung nach
feindliches Territorium.
    Das Geräusch der Trommeln kam
näher. Gaunt rief seinen Kom-Spezialisten, Soldat Rafflan, und bellte
angespannt ins Sprechgerät der schweren Tornister-Einheit, ob da draußen jemand
sei.
    Die Trommeln schlugen weiter.
    Über Komnetz kam ein
unverständliches Kauderwelsch zurück.
    Zuerst glaubte Gaunt, die
Sendung sei verstümmelt, aber dann ging ihm auf, dass es sich um Wörter einer
anderen Sprache handelte. Er wiederholte seinen Ruf, und nach langer,
schmerzlicher Stille hörte er eine zusammenhängende Botschaft in knappem
Niedergothisch.
    »Hier spricht Oberst Zoren von
den Vitrianischen Dragonern. Wir kommen zu Ihrer Unterstützung. Nicht
schießen.«
    Gaunt bestätigte, dann ließ er
seine Männer breit gefächert zwischen den Silos in Deckung gehen und wartete.
Voraus blitzte etwas in dem matten Licht, und dann sah Gaunt Soldaten auf sie
zukommen. Sie sahen die Geister erst im letzten Augenblick. Mit ihrer
Fähigkeit, sich überall verstecken zu können, und dank ihrer verhüllenden
Umhänge waren Gaunts Geister Meister der Tarnung.
    Die