Gaunts Geister - Band 1-3
Stabsoffiziere der Vervunwehr blinzelten verwirrt,
als sie plötzlich herumkommandiert wurden.
»Was erlauben Sie sich?«,
fragte Modile überheblich.
»Das ist hier mein verdammter
Kommandostand!«
»Und Sie haben was genau
kommandiert? Ein Blutbad. Sie widern mich an, Modile. Männer haben um Befehle und
Unterstützung gebettelt, und Sie haben sie einfach ignoriert. Ich habe alles
gehört.«
»Es war eine schwierige
Situation«, sagte Modile.
»Ich habe einen Ruf, Modile«,
sagte Gaunt, »den Ruf, ein gerechter, ehrlicher Mann zu sein, der seine
Soldaten gut behandelt und sie im Angesicht der Finsternis unterstützt. Diesem
Ruf zufolge bin ich potenziell weich. Anscheinend verstehe ich Versagen und
verzeihe es. Manche, wie Kowle, halten mich für einen schwachen Kommissar, der
nicht bereit ist, zu tun, was mein Rang verlangt. Der nicht bereit ist, der
Disziplin im Feld Geltung zu verschaffen, wo es einen Mangel an ihr gibt.«
Gaunt nahm seine Mütze ab und
gab sie Daur. Er starrte Modile an, der immer noch nicht wusste, was vorging.
»Ich bin ein
Imperiumskommissar. Ich begeistere die Schwachen, stütze die Schwankenden,
führe die Verirrten. All das bin ich für alle Männer, die mich brauchen. Aber ich
bestrafe auch ohne Zögern die Unfähigen, die Feigen und die Verräter.«
»Gaunt, ich ...«, begann
Modile.
»Kommissar Gaunt. Sparen Sie
sich die Worte. Sie haben am heutigen Tag viele das Leben gekostet.«
Als ihm plötzlich mit
schrecklicher Klarheit aufging, was los war, wich Modile langsam zurück.
Gaunt zog seine Boltpistole aus
dem Halfter. »Aus Anstand lasse ich Ihnen die Wahl: ein Erschießungskommando Ihrer
eigenen Leute oder eine standrechtliche Exekution.«
Modile stammelte, verlor die
Gewalt über seine Gedärme und wandte sich zur Flucht.
Gaunt schoss ihm durch den
Kopf.
»Ganz wie Sie wollen«, sagte er
traurig.
ZEHN
Verluste
»Ein
paar Jahre nach Beginn meiner Laufbahn kam der Moment, als ich wusste, dass ich
genug gesehen hatte. Seitdem habe ich sehr viel mehr gesehen, aber ich habe es
ausgeblendet. Die Seele erträgt nur eine gewisse Menge.«
— Oberstabsarzt Goleca,
nach dem Verbluten von Augustus IX
Den Geräuschen nach zu urteilen
war am Veyveyrtor eine heftige Schlacht im Gange. Der Himmel unter dem Schirm flammte
in regelmäßigen Abständen explosionsartig auf, Lärm dröhnte durch die
Makropole. So ging es schon seit Tagesanbruch.
Das Baby, Yoncy, weinte
flehentlich und gab schluchzende Sauggeräusche von sich. So ging es schon die
ganze Nacht. Tona wusste nicht, was sie tun sollte. Dalin schwieg mürrisch und
schlief meistens hinten in der Müllhöhle.
Tona kroch aus ihrem Fuchsbau
und schaute auf die von Granattrichtern übersäten Hänge. Unter ihr, einen halben
Kilometer entfernt, lag das mit Stacheldraht eingezäunte Truppenquartier in der
Gavunda-Chemiefabrik Lagerhäuser / Südwest.
Dort waren die
Fremdwelt-Soldaten untergebracht, die blasshäutigen, dunkelhaarigen mit den
schwarzen Kostümen und blauen Tätowierungen. Tona fragte sich, ob sie auch von
einer Makropolwelt stammten und die blauen Tätowierungen Bandensymbole oder
Rangabzeichen waren.
Sie träumte von ihrem Essen. In
den hinteren Lagerschuppen wartete ein Festmahl, das des Imperators würdig
gewesen wäre.
Ein paarmal hatte sie Dalin
hineingeschickt, um etwas für sie zu stehlen, aber es wurde langsam gefährlich.
Tona wusste, dass es jetzt an
ihr lag. Das Baby war schwach und weinte. Sie brauchte Milchpulver und
Grundnahrungspaste.
Über tausend andere Flüchtlinge
versteckten sich in den Schutthängen und Krater-Ebenen der ausgebombten Manufakturen
in ihrer Nähe, aber ihr kam nie in den Sinn, irgendwen um Hilfe zu bitten. In
der Vervunmakropole war jetzt jeder auf sich allein gestellt.
Ein besonders heftiger Donner
erscholl über dem Veyveyrtor, und Tona drehte sich um. Gelegentlich war sie im
Veyveyrbahnhof gewesen und hatte in der gläsernen Haupthalle gestanden, die es
jetzt schon lange nicht mehr gab, und die großkotzigen Hauptspindel-Bewohner
bei der Ankunft und Abfahrt beobachtet.
Ihr Onkel Rika hatte dort einen
Imbissstand betrieben, und ein paar Monate hatte sie zu einer dort operierenden
Gruppe von Taschendieben gehört.
Der große Bahnhof hatte ihr
Ehrfurcht eingeflößt, obwohl sie darin arbeitete. Er war ihr wie ein Tor
überallhin vorgekommen.
Hätte sie das Geld gehabt, wäre
sie in einen Zug nach Süden zu
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