Gaunts Geister - Band 1-3
verwunderter Faszination an. Blenner kannte
ihn nicht, obwohl er ebenfalls die nüchterne schwarze Uniform der Schola
Progenium trug. Ein neuer Junge, nahm Blenner an.
»Was glaubst du wohl?«, fragte
er gereizt.
»Wonach sieht es denn aus?«
Der Junge schwieg einen Moment.
Er war hochgewachsen und schlank, und Blenner schätzte ihn auf zwölf Jahre,
vielleicht ein oder höchstens zwei Jahre jünger, als er selbst war. Aber der
Blick seiner dunklen Augen hatte etwas schrecklich Altes und Durchdringendes an
sich.
»Es sieht aus«, sagte der neue
Junge, »als würdest du die Fugen zwischen den Bodenfliesen mit einer
Polierbürste säubern.«
Blenner grinste den anderen
Jungen humorlos an und schwenkte die winzige Bürste in der schmutzigen Hand.
Sie hatte ganz weiche Borsten und war für das Polieren von Uniformknöpfen und
Schnallen gedacht. »Dann bin ich der Ansicht, dass du deine Frage selbst
beantwortet hast.« Er tauchte die winzige Bürste wieder in die Schüssel mit
kaltem Wasser neben sich und fing wieder an zu schrubben. »Und jetzt habe ich
noch drei Seiten des Quadrats vor mir, wenn es dir nichts ausmacht.«
Der Junge schwieg mehrere
Minuten lang, ging aber nicht.
Blenner schrubbte die Fliesen
und konnte den bohrenden Blick im Rücken spüren. Er schaute wieder auf. »War
sonst noch etwas?«
Der Junge nickte. »Warum?«
Blenner ließ die Bürste in die
Schüssel fallen, hockte sich auf die Fersen und rieb sich die tauben Hände.
»Ich war so leichtsinnig, scharfe Munition in den Übungssilos zu benutzen, und
habe einen Zielsimulator ziemlich — um nicht zu sagen vollkommen — zerstört.
Der Stellvertretende Meister Flavius war nicht sonderlich angetan.«
»Also ist dies eine
Bestrafung?«
»Dies ist eine Bestrafung«,
bestätigte Blenner.
»Dann störe ich dich wohl
besser nicht weiter«, sagte der Junge nachdenklich. »Ich kann mir gut
vorstellen, dass ich wahrscheinlich nicht einmal mit dir reden darf.«
Er ging zur offenen Seite des
Kreuzgangs und schaute nach draußen. Das innere Geviert der alten
Missionarsschule war mit einem Steinmosaik des zweiköpfigen imperialen Adlers
verziert. Es nieselte, und ein kalter Wind heulte durch die Steinkolonnaden.
Über den Kreuzgangdächern
erhoben sich die reich verzierten Hallen und Türme des alten Gebäudes, deren
Regenrinnen und Gargyle durch tausend Jahre der Erosion bis zur Unkenntlichkeit
abgeschliffen worden waren. Jenseits des Schulhauses erhob sich die eigentliche
Stadt, die Hauptstadt der mächtigen Kardinalwelt Ignatius. Der westliche
Horizont wurde von der schwarzen Fülle des Ekklesiarchenpalasts beherrscht,
dessen plattenartige Türme über zweitausend Meter in die Höhe ragten und deren
Kom-Masten noch höher in den kalten, zyanfarbenen Himmel stachen.
Es schien ein feuchter,
finsterer, kalter Ort zum Leben zu sein.
Ibram Gaunt hatte seine bis ins
Mark dringende Kälte schon in dem Augenblick gespürt, als er die Fähre
verlassen hatte, die ihn von der Fregatte, mit der er die Raumreise gemacht
hatte, zum Landefeld gebracht hatte.
Von dieser kalten Welt aus
herrschte das Ministorum mit der eisernen Hand des imperialen Glaubens über
einen Teil der Galaxis. Man hatte ihm gesagt, es sei eine große Ehre für ihn,
eine Schola Progenium auf Ignatius besuchen zu dürfen. Ibrams Vater hatte ihm
beigebracht, den Imperator zu lieben, aber irgendwie konnte er sich über diese
Ehre nicht recht freuen.
Auch wenn er ihm den Rücken
zudrehte, wusste Ibram, dass der ältere, kräftiger gebaute Junge, der die
Fliesen schrubbte, jetzt ihn anstarrte.
»Hast du jetzt eine Frage?«,
sagte er, ohne sich umzudrehen.
»Die übliche«, erwiderte der
bestrafte Junge.
»Wie sind sie gestorben?«
»Wer?«
»Deine Mutter, dein Vater. Sie
müssen tot sein. Du wärst nicht hier im Waisenhaus, wenn sie nicht in die
Herrlichkeit eingegangen wären.«
»Das hier ist die Schola
Progenium, kein Waisenhaus.«
»Was auch immer. Diese
geheiligte Einrichtung ist eine Missionarsschule. Wer hierher geschickt wird,
ist Sprössling von Dienern des Imperators, die ihr Leben für den Goldenen Thron
gegeben haben. Also, wie sind sie gestorben?«
Ibram Gaunt drehte sich um.
»Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater war Oberst in der
Imperialen Armee. Letzten Herbst ist er bei einem Gefecht gegen die Orks auf
Kentaur verschollen.«
Blenner hörte auf zu schrubben,
stand auf und ging zu dem anderen Jungen. »Hört sich prall an!«, begann er.
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