Gauß: Eine Biographie (German Edition)
der Festredner ins Lächerliche zieht. Dann redet sich der Heimatlose, ähnlich wie im Seyffer’schen Haus, wo er Gauß kennengelernt hat, selbst in einen Rausch, beschwört die Gemeinschaft der Edlen und die altgriechischen Ideale des Schönen, Guten und Wahren, die gerade vom vergnügungssüchtigen Volk mit linkischen Drehungen zu scheußlich fröhlichen Fanfaren in den Festwiesensumpf gestampft werden. Auch die unterschwelligen Spannungen zwischen Studenten und Handwerksburschen, die sich häufig in Schlägereien entladen, ziehen Bolyai in ihren Bann. Er mischt sich nicht ein, ist aber fasziniert von den Gewaltausbrüchen und betreibt als distanzierter Beobachter melancholische Feldstudien über die Vergeblichkeit menschlicher Glückssuche – was er brauche, um seinen «Seelenfrieden» zu finden, wie Ide meint, herausgefunden zu haben.
«EYPHKA num = ∆ + ∆ + ∆» schreibt Gauß am 10. Juli 1796 in sein wissenschaftliches Tagebuch. Die griechischen Großbuchstaben bedeuten «Heureka! – Ich hab’s gefunden» und überragen, fett ausgemalt, das dürre Latein der anderen Eintragungen auf der Seite. Ein weiterer feierlicher Augenblick im Leben des Carl Friedrich Gauß, ein archimedisches Gefühl. Er hat den Beweis für die Vermutung seines großen Vorgängers Pierre de Fermat gefunden, dass sich jede Zahl als Summe von drei Dreieckszahlen darstellen lässt. * Zuerst das Siebzehneck, dann das Reziprozitätsgesetz und nun die Dreieckszahlen. Und doch sind diese drei bedeutenden Funde innerhalb von nur vier Monaten lediglich Nebenprodukte eines systematischen Neuaufbaus der Zahlentheorie, den Gauß zwischen Kästners Vorlesungen, Lichtenbergs Experimentierklasse und den häufig in einvernehmendem Schweigen verlaufenden Begegnungen mit dem Melancholiker Bolyai leistet.
Im März 1797 kann er dem inzwischen in den Reichsadelsstand erhobenen Eberhard von Zimmermann – «Hochwohlgeborener Herr, Verehrungswürdiger Herr Hofrath» – einen Überblick über den Umfang seines Werkes geben: «Daher ich das Ganze auf etwa ein Alphabet schätze» [Zim 1 : 29]. Ein Alphabet sind 24 Druckbogen zu 16 Druckseiten. Gauß weiß sogar schon das Volumen anzugeben, das die Untersuchungen seiner berühmten Vorgänger Euler, Lagrange und Legendre dabei einnehmen werden, nämlich jeweils 50, 30 und 12 Seiten. Erstmals erwähnt er in dem Brief auch den Titel, den er seiner Arbeit geben will: Disquisitiones Arithmeticae , also schlicht Arithmetische Untersuchungen * . Entgegen seinem ursprünglichen Plan, den Text in deutscher Sprache zu verfassen und von einem Profi ins Lateinische übersetzen zu lassen, schreibt Gauß seinen Text nun doch selbst auf Latein. Von Zimmermann weiß, dass sein Lieblingsschüler auch ein hervorragender Lateiner ist. Dennoch beauftragt er den Altphilologen Johann Heinrich Jacob Meyerhoff mit der Redaktion des lateinischen Textes. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Niemand soll in dieser bahnbrechenden Arbeit seines Schützlings einen Fehler entdecken können. Als tatkräftiger Manager hat er den Braunschweiger Buchdrucker Kircher engagiert und Verbindungen zu seinem Leipziger Buchhändler Gerhard Fleischer hergestellt, bei dem die Arithmetischen Untersuchungen in Kommission erscheinen sollen. Meyerhoff hat zwar für seine lateinische Dissertation über die Phönizier eine Goldmedaille der Universität Göttingen verliehen bekommen, aber von Mathematik versteht er offenbar nicht viel. Nicht einmal der Ausdruck Algorithmus sei ihm geläufig, wie Gauß kühl vermerkt. Deshalb besteht der jugendliche Autor in einigen Fällen auf seinen ursprünglichen Formulierungen und rechtfertigt ein paar der von Meyerhoff bemängelten Konjunktivkonstruktionen. Aus der Sicht des Mathematikers seien diese fachlich unbedingt notwendig und daher wichtiger als puristische sprachästhetische Einwände. Und so entsteht ein lebhafter literarischer Kreisverkehr mit «ansehnlichen Convoluten» handschriftlicher Manuskripte, kritisch gemusterter Korrekturvorschläge, neuer Abschriften und erster Druckbögen zwischen Gauß, von Zimmermann, Meyerhoff und Kircher.
Ab Herbst 1797 will die Universitätsbibliothek keine mehrbändigen Werke mehr an Studenten ausleihen. Was insbesondere die Jahrgänge der Akademien betrifft. Da droht also eine wichtige Informationsquelle für den eifrigen Autor zu versiegen. Gauß versteht es jedoch selbstbewusst, seine Arbeit an den Untersuchungen als Vorteil einzusetzen. Bibliotheksdirektor Heyne
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