GB84: Roman (German Edition)
langsam auseinanderfiel. Neun Monate, in denen sie jedes nur erdenkliche Fernsehprogramm gesehen haben. Neun Monate, in denen sie von nichts anderem gesprochen haben. Neun Monate Streit und Streit und Streit und Streit. Neun Monate, in denen sie zu Bett gegangen sind, auf dem Rücken gelegen, die Decke angestarrt haben, sich wünschten, tot zu sein – Tag 267 .
Ich bleibe stehen und schöpfe auf der Halde Luft. Ich sehe, wie vor mir Feuer entfacht werden. Dieser Ort ist alt. Dieser Ort ist kalt
.
ACHTUNDDREISSIGSTE WOCHE
Montag, 19. November – Sonntag, 25. November 1984
Terry Winters wartete, bis die Kinder zur Schule gegangen waren und Theresa in die Arbeit fuhr. Er trat auf den Treppenabsatz, zog die Dachleiter herunter und stieg hinauf. Er sah sich um und entdeckte im Dunkeln die beiden Koffer –
Küss mich
.
Er kletterte auf den Dachboden und lief über die Spanplatten. Er holte die beiden Koffer, trug sie die Treppe hinunter und stellte sie in die Küche. Er ging raus in die Garage, öffnete den Kofferraum und nahm zwei weitere Koffer heraus. Er trug sie hinein und stellte sie neben die beiden Koffer vom Dachboden –
Küss mich in den Schatten
.
Terry ging zur Spüle und nahm unten einen schwarzen Müllbeutel heraus. Dann trat er mit dem Müllbeutel in die Speisekammer, lehrte Cracker und Kekse aus den Dosen und füllte damit den Müllbeutel. Er brachte den Beutel nach draußen und stopfte ihn in die Mülltonne. Dann ging er wieder ins Haus –
Küss mich, Diane
.
Terry legte die vier Koffer auf den Küchenboden. Dann öffnete er sie und starrte das viele Geld an. Er steckte seine Hände in die Koffer voller Geld. Er setzte sich an den Küchentisch und zählte es. Dann machte er Stapel und verstaute einen Teil des Geldes in den leeren Keks- und Kuchendosen. Er stellte die Dosen zurück in die Speisekammer. Den Rest teilte er zwischen den vier Koffern auf, brachte zwei wieder auf den Dachboden und die anderen beiden in den Kofferraum –
Küss mich in den Schatten
.
Er setzte sich ans Lenkrad. Er hatte Dianes Anweisungen bis ins Detail eingehalten; so wie sie sie aufgeschrieben hatte. Die Anweisungen musste er noch vernichten –
Küss mich in den Schatten meines Herzens
.
Terry drehte den Zündschlüssel um und fuhr zur Arbeit –
Rache. November 1984.
Der Albtraum ist hartnäckig. Neil Fontaine träumt von ihrem Schädel. Ihrem schönen weißen Schädel. Ihrem Schädel und seiner Kerze. Ihrem Schädel auf dem Tisch und seiner Kerze im Fenster. Er wacht in seinem Zimmer auf. Das Licht brennt noch. Er setzt sich auf die Bettkante. Das Notizbuch liegt zerrissen herum. Er nimmt ihre beiden Leben auseinander und setzt sie nach seinen Vorstellungen wieder zusammen. Er steht auf, zieht die Vorhänge auseinander. Das Bett ist unberührt, die Laken sind kalt –
Seine Gebete sind unerhört geblieben.
Er steht am Fenster. Echtes Licht und elektrisches –
Jennifer schaut Neil Fontaine mürrisch an und streckt ihm die Zunge raus
–
Immer gibt es solche Erinnerungen –
»Soll ich dir vielleicht ein Bild malen, verdammt?«
Die Narben auf dem Land. Die Narben auf dem Herzen.
Der Mechaniker steht in der Telefonzelle und wählt
–
Phil Taylors Frau hebt ab
. Klick-klick.
»Hallo?«
»Ist Phil da?« fragt der Mechaniker
.
»Der ist arbeiten«, antwortet sie. »Wer ist denn da?«
»Ach, geht es ihm besser, hm?«
»Wer ist da?« fragt sie erneut
.
»Sagen Sie ihm nur, Dave hat angerufen.« Der Mechaniker legt auf und nimmt den Hörer wieder ab
–
Klick-klick,
was für ein schönes Geräusch; der Klang der Überwachung, der
–
Vorhersagbarkeit –
An Special-Branch-Agenten ist nichts Besonderes. Sie verfolgen Menschen, beobachten sie, durchsuchen Mülleimer. Sie erpressen Leute, drangsalieren sie. Sie verkleiden sich gern und tun dann so, als seien sie nicht sie selbst, tun so, als seien sie jemand anderes. Aber eigentlich sind sie nur Perverse
–
Verdorbene alte Männer.
Sie kramen durch Akten, bis sie etwas finden, das ihnen gefällt. Sie studieren eine Person, folgen ihr, beobachten sie. Sie warten, bis diese Person etwas Falsches tut. Etwas Illegales. Einen bewaffneten Raubüberfall oder einen Autodiebstahl. Dann erpressen sie diesen bösen Menschen, drangsalieren ihn
–
Schüchtern ihn ein, bedrängen ihn.
Sie machen sich diesen bösen Menschen zum Sklaven, zwingen ihn, zu tun, was sie sagen. Sie lassen ihn noch mehr schlimme Dinge tun, schlimmere Dinge. Schmutzige Dinge.
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