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GB84: Roman (German Edition)

GB84: Roman (German Edition)

Titel: GB84: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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»Du spielst im Weihnachtsstück der Gewerkschaft den Onkel Scrooge?«
    »Ich habe keine Zeit für so etwas …«
    »Wirklich?« fragte Clive. »Aber ich bin der Geist all unserer kommenden Weihnachten.«
    »Leck mich«, sagte Terry. »Ich leg jetzt auf …«
    »Tut mir leid«, beschwichtigte Clive. »Ich wollte nur Danke sagen, das ist alles.«
    »Wofür?« fragte Terry.
    »Dafür, dass du nichts gesagt hast«, flüsterte Clive. »Du bist ein Kumpel. Du hast was bei mir gut.«
    »Hab ich nicht«, fauchte Terry. »Und jetzt verpiss dich …«
    »Sei doch nicht so«, sagte Clive. »Wir stehen auf derselben Seite. Wir wollen doch das Gleiche …«
    Terry legte auf, stand auf und ging zu seinem Jackett –
    Keine Karteikarten
.
    Terry schloss die Augen. Er sah die Karten auf dem Küchentisch liegen. Dann schlug er die Augen wieder auf. Er sah die Kartons und die Papiere, die Tassen und Flaschen. Er blickte auf die Uhr –
    Feierabend. Weihnachten

    Terry schloss sein Büro ab, ging die Treppe hinunter und fuhr nach Hause –
    Im Radio lief immer und immer wieder
Do They Know It’s Christmas?
    Er schloss die Haustür auf. Kein Licht brannte, niemand daheim –
    Terry konnte sich nicht erinnern, wann er Theresa und die Kinder zum letzten Mal gesehen hatte. Sie waren wohl nach Bath gefahren, um die Feiertage bei Theresas Eltern zu verbringen. Terry hatte all ihre Geschenke schon unter den Baum gelegt, aber sie hatten sie dort liegen lassen, unter einer Decke aus Tannennadeln und kaltem Licht.
    Er machte die Haustür zu, stellte die Aktentasche und die Koffer in den Flur und ging ins Vorderzimmer. Er schaltete die Baumbeleuchtung ein. Dann setzte er sich aufs Sofa, in den Schatten von South Yorkshire, in einem Vorort von Sheffield –
    In einem Haus mit blinkenden Lichtern, an, aus, an, aus, und niemand war daheim –
    Heiligabend 1984.
    Neil Fontaine hat Fehler gemacht. Er hat den Preis dafür bezahlt –
    Jetzt ist der Augenblick gekommen, um es wieder ins Lot zu bringen, um alles heimzuzahlen.
    Neil telefoniert, macht Besuche, er hat Kleingeld und sein kleines schwarzes Buch in der Tasche. Telefone und Türklingeln.
    Niemand geht ans Telefon. Keiner kommt an die Tür –
    Er tritt Türen ein, wirft Tische um, schlägt Schädel ein, bricht Knochen.
    Naziknochen, Nazischädel, Nazitische, Nazitüren –
    Pubs im East End, Bars im West End. Skinheads aus South London und feine Pinkel aus North London.
    Neil durchquert die alten Jahre und die neuen, durch Schneematsch und Regen –
    Jetzt ist die Zeit, um alles wieder ins Lot zu bringen, um alles heimzuzahlen.
    Er hat die Lügen satt, das Leben, den Tod –
    Im Kofferraum liegt der abgetrennte Kopf seiner Exfrau.
    Der Präsident war zum Mann des Jahres gewählt worden, die Premierministerin zur Frau des Jahres. Der Mann des Jahres saß allerdings hinter verriegelten Türen im Büro in der obersten Etage des Klosters –
    Wölfe vor den Toren, Aasgeier am Himmel –
    Und nun gab es auch noch Ratten innerhalb der eigenen Mauern.
    Die Militanten meuterten und meckerten, sie jammerten über den Kurs des Präsidenten, die Richtung und den Ablauf der Auseinandersetzung, beklagten mangelnde Vision und Initiative –
    Nun schossen sich also beide Seiten auf ihn ein, die Militanten und die Gemäßigten.
    Der Mann des Jahres blieb bei Tag in seinem verriegelten Büro, im Fernsehen liefen Ceefax und Oracle, die beiden Teletext-Dienste. Dazu Schostakowitsch mit voller Lautstärke, rund um die Uhr. Er schrieb Briefe an die Familien inhaftierter Bergleute und sagte ihnen, wie stolz sie auf ihre Väter und Söhne, Ehemänner und Brüder sein konnten. Er hege nichts als Bewunderung für diese großartigen Männer, die gekämpft hatten, um ihre Arbeit, ihre Zechen und ihre Gemeinden zu erhalten –
    Nichts als Bewunderung
.
    Len trug die Pappkartons herein und stellte sie auf Terrys Schreibtisch, dann ging er Nachschub holen. Terry legte die Bündel auf den Tisch, zählte das Geld, Len brachte den nächsten Karton herein und stellte ihn auf den Boden. Terry legte die Bündel zurück in die Kartons und schrieb die Namen der Spender und die Summen auf. »Das ist der letzte Karton im Augenblick«, sagte Len.
    Terry nickte. »Und draußen wird die ganze Nacht Wache gestanden?«
    »Der Safe ist sicher genug«, antwortete Len. »Bring’s einfach rauf, wenn du fertig bist.«
    Terry zuckte mit den Schultern –
    Len ließ ihn mit den Kartons allein –
    Zweiter Weihnachtsfeiertag 1984.
    Terry

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