GB84: Roman (German Edition)
ruhig, die Züge leer, die Geister unter der Erde
–
Von Station zu Station. Von Ort zu Ort
–
Die Lichter wehten im Wind und stürzten im Regen zu Boden
–
Seine löchrigen Schuhe liefen über Straßen voller Löcher. Sein dreckiger Regenmantel stand in einem dreckigen Hauseingang
–
Hobart House, Congress House, Claridge ’s und County Hotel
–
Die Gebäude still und leer
.
Malcolm hatte einen Schlüssel. Er nahm den Fahrstuhl
.
Ein alter Farbiger schob einen Industriestaubsauger durch den Flur im elften Stock. Er hatte einen Seilabdruck um den Hals und Narben an beiden Handgelenken. Das Licht flackerte, an, aus, an, aus. Die Fahrstuhltür öffnete und schloss sich
–
Verlassene Stille. Verlassene Räume
–
Von Ort zu Ort. Von Zimmer zu Zimmer
–
Leichen verbargen sich in den Einbauten. Leichen baumelten von den Rohren
.
Eine junge Asiatin reinigte mit starker Bleiche eine Wand im siebten Stock. Sie hatte Peitschenstriemen auf dem Rücken und Wunden um die Scheide
–
Sie war von der Hüfte abwärts nackt und blutete von der Hüfte aufwärts
.
Der Fernseher in der Ecke schaltete sich an, aus, an, aus
–
Die Premierministerin sprach von Entschlossenheit und Exorzismus
.
»Alle meinen, es ist bald vorüber«, sagte Diane. »Aber das weißt du ja, oder?«
»Ja, weiß ich«, antwortete Terry.
»Zwei Monate noch, vielleicht weniger«, fuhr sie fort. »Das erzählt man sich zumindest.«
»Ich weiß«, wiederholte Terry.
»Die Finanzen werden sich nicht erholen«, sagte sie. »Die Gewerkschaft wird sich spalten.«
Terrys Magen verkrampfte sich. Terry nickte.
»Sie werden nach Sündenböcken suchen«, sagte sie. »Sie werden nach dir suchen.«
Wieder nickte Terry. Sein leerer Magen revoltierte. Ihm war schlecht.
»Du brauchst einen Fluchtplan«, sagte Diane, »und Geld.«
Terry stand vom Bett auf und öffnete die Aktentasche. Er legte das Geld aufs Bett –
»Hilfst du mir?« fragte er. »Zu fliehen? Zu verschwinden? Wir beide?«
»Wenn du möchtest«, sagte sie. »Wenn du das wirklich möchtest.«
PETER
zwischen den Schützengräben – Am Ende waren ziemlich viele an der Hütte, um die letzten Sekunden abzuzählen. Alle waren aufgekratzt und gut gelaunt. Schwer zu sagen, was sie wirklich fühlten. Eine ganze Reihe blieb bis Sonnenaufgang da. Wir wechselten uns damit ab, uns in der Hütte aufzuwärmen oder in eines der Häuser auf der anderen Straßenseite zu gehen. Ein paar von den Rentnern, die dort lebten, boten uns immer ein offenes Haus. Nicht nur an Silvester. Zwei von denen hatten schon den letzten großen Streik mitgemacht, 1926. Bald fingen sie an, zu erzählen, wer Streikbrecher gewesen war und wer sich rausgehalten hatte. Die Leute haben ein verdammt gutes Gedächtnis für so was, und bei Sonnenaufgang wurden wir ziemlich sentimental. Ich jedenfalls. Kurz danach machte ich mich auf den Heimweg. Mary und Jackie schliefen. Ich setzte mich unten kurz aufs Sofa . Nur der Baum und die Karten und ich waren da. Ich freute mich schon darauf, wenn der Baum wieder abgeschmückt und für das Jahr eingemottet würde. Dieses Jahr war irgendwie alles anders als sonst. Eigentlich komisch. Ich war noch nie bei so vielen verdammten Weihnachtsfeiern gewesen. Meistens interessierte mich das nicht besonders. Ich wusste nicht mal, was ich letztes Silvester gemacht hatte. Dann ging ich ins Bett , versuchte, Mary nicht zu wecken. Aber es war schon zu hell zum Schlafen, und bald würde sie aufstehen und Essen kochen –
Ich fange an zu laufen. Ich laufe und laufe
– Ich schob das Hühnchen auf meinem Teller hin und her. Jede Familie hatte ein Huhn geschenkt bekommen – alles, was ich an diesem verdammten Weihnachten getan hatte, war, dafür zu sorgen, dass nicht der eine zwei Hühnchen bekam und der andere keins. Ich hätte die Weihnachtsmannsmütze gar nicht abnehmen müssen – Mary hatte sich richtig Mühe gegeben. Wir mussten Partyhüte aufsetzen – Ich wollte es wirklich genießen. Aber ein Blick durchs Zimmer sagte schon alles – In Küche und Esszimmer brannten die Lichter. Der verdammte Baum in der Ecke blinkte wie verrückt. Die Heizung lief auf vollen Touren. Der Herd war den ganzen Vormittag über an gewesen. Radio. Fernseher – alles an, was man nur anschalten konnte, und es flackerte nicht mal – nicht ein einziges Flackern, nach zehn Monaten, verdammt. Nicht mal eine kurze Stromunterbrechung – einfach nur noch mehr beschissene Rechnungen, die wir nicht bezahlen konnten
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