GB84: Roman (German Edition)
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Verdammt
– Was kostete es die, uns das anzutun? Wie viel, verdammt? Die hockten lieber auf ihren Ärschen und schauten zu, wie dieses Land vor die Hunde ging, bevor sie nachgaben und uns auch nur den kleinen Finger reichten.
Verdammte Scheiße
. Ich schob das Hühnchen in der Soße herum und wusste, ich sollte dankbarer sein. Ich versuchte, Mary und Jackie zuliebe zu lächeln. Gute Miene und so weiter – aber da waren noch diejenigen, die dieses Neujahr kein Festessen hatten. Das wusste ich. Und zwar nicht in Äthiopien oder im Sudan – nein, hier in South Yorkshire. Und dann waren da die Kumpel, die unten in Kent ihre fünf Jahre absaßen – Da ging es mir zum ersten Mal auf. Wie ein Schlag – Es war vorbei. Aus und vorbei. Schluss. Sperrstunde – Es war nur noch eine Frage der Zeit. Wie das Ende der Welt – Ich blickte von dem Huhn und den Beilagen auf – Mary und Jackie sahen mich an. Jackie hielt mir ein Weihnachtsknallbonbon hin – ich wollte nicht, dass sie meine Gedanken las –
Tiefer und tiefer
– Nach dem Essen legte ich mich ein wenig aufs Bett und hörte mir das Spiel auf Radio Sheffield an. Wednesday schlug Manchester United zwei zu eins. Zwei zu eins! Damit waren wir auf dem fünften Tabellenplatz. Mary schaute herein, lächelnd, ihre Ausschnittsammlung in der Hand. Man kann ja nie wissen, sagte sie. Könnte ein gutes Zeichen sein. Ich lachte, gab ihr einen dicken Kuss und ging nach unten. Ich liebte sie. Von ganzem Herzen. Sie und Jackie. Ich wusste gar nicht, wie ich das ohne sie hätte schaffen sollen. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft, das wusste ich – Ich war ein Glückspilz. Auch das wusste ich –
Schneller und schneller. Ich komme um die Ecke
– An der Hütte bei der Zechenzufahrt standen sechs Streikposten. Am Ende der Straße waren noch deutlich mehr. Die Polizei hatte an der Kreuzung vor dem Postamt etwa hundert Kumpel umzingelt.
Krk-krk
. Es waren aber nicht so viele Polizisten wie sonst da. Es gab eine kleine Schneeballschlacht, das machte sie ganz kirre. Sie riefen über Funk die Kavallerie.
Krk-krk
– Dann tauchten Mannschaftswagen voller Bereitschaftspolizisten auf. Der Streikbrecherbus kam mit hundertdreißig Sachen an und verschwand auf dem Zechengelände – er kriegte den Beifall, den er verdiente. Ich schaute genau, wie viele drinsaßen – sah nicht so aus, als wären es mehr als sonst. Nur die üblichen Wichser – zwei salutierten mit zwei Fingern. Einer zog sich mit dem Finger über die Kehle – Ich hatte einen Termin mit dem Ausschuss drüben in Silverwood, also ging ich mit ein paar Kumpeln zurück zum Welfare Club. Die meisten
VIERUNDVIERZIGSTE WOCHE
Montag, 31. Dezember 1984 – Sonntag, 6. Januar 1985
Der Jude hasst auch Neujahr. Der Jude hasst Feiertage. Punkt. Er hasst jeden Stillstand. Neil Fontaine hasst Neujahr ebenfalls. Feiertage und all das. Aber Neil braucht Zeit –
Zeit, um alles ins Lot zu bringen, um alles heimzuzahlen
.
Der Jude bittet Neil Fontaine, ihn für Silvester nach Nottingham zu fahren. Er hat dort eine Party für das NCB und sein neues Spielzeug organisiert, die Babygewerkschaft. Der Jude bittet Neil, die Zeit zu nutzen und die Häuser aller arbeitenden Bergleute zu kontrollieren. Der Jude fürchtet, es könnte noch eine letzte Welle von Angriffen und Racheakten geben; er weiß, dass noch Rechnungen zu begleichen sind –
Verbrechen zu sühnen. Gerechtigkeit und Rache zu üben
.
Neil ergreift die Gelegenheit. Die Chance und die Geister. Er überlässt den Juden seinen Possen und Plänen, seinen Reden und Ränken.
Neil fährt weiter in den Norden. Auf der M1 gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen –
Schnee und Matsch. Nebel und Nässe. Regen und Ruin
.
Neil sucht die Polizeireviere in Wakefield und Leeds auf. Dort kennt man ihn, dort schulden ein paar Leute ihm noch was –
Leute, die von diesem blutigen Streik, diesem verdammten Krieg aufgezehrt wurden.
Neil wählt seine Fragen sehr sorgfältig, zweideutig. Er hört Schreckensgeschichten von toten Polizisten, hört Gerüchte über Vermisste –
Philip Taylor. Adam Young. Detective Sergeant Paul Dixon –
David Johnson, der Mechaniker.
Neil fährt weiter nach Norden. Er hält an, beobachtet, wartet vor dem Haus von Paul Dixon, Special Branch. Aber Paul Dixon kommt zu Silvester nicht nach Hause. Dieses Silvester nicht. Seine Tochter steht auf Zehenspitzen am Fenster und schaut über Weihnachtskarten hinweg zu dem Mann im Mercedes, der nicht ihr Vater ist
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