Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Kerzenschein spiegelte sich auf den Kristallgläsern und dem Silberbesteck und erfüllte den Saal mit glänzendem Licht. Der ganze Prunk versetzte Aria einen Stich ins Herz: Er erinnerte sie an das Opernhaus.
»Ich habe mein Leben lang handeln müssen, um all diese Schätze zusammenzutragen«, erzählte Marron neben ihr. »Aber Festmahle verdienen auch einen angemessenen Rahmen, findet ihr nicht?«
Roar zog einen Stuhl für Aria zurück, während Perry die Schmalseite des rechteckigen Tisches ansteuerte. Sie hatten sich kaum gesetzt, als auch schon Bedienstete herbeieilten, um ihnen Wasser und Wein einzuschenken. Sie waren gut gekleidet und penibel gepflegt. Aria erkannte allmählich, was Marron an seinem Hof bewirkt hatte: Arbeit im Austausch gegen Sicherheit. Aber die Menschen, die ihm dienten, machten keinen bekümmerten Eindruck. Alle, denen Aria innerhalb von Marrons Mauern begegnet war, wirkten gesund und zufrieden. Und loyal, so wie Rose.
Marron erhob sein Glas, wobei er seine molligen, mit Edelsteinen geschmückten Finger abspreizte wie ein Pfau die Federn. Dabei fiel Arias Blick auf einen blau aufblitzenden Lichtschein: Marron trug den Ring mit dem blauen Stein, den Perry beiseitegeschafft hatte. Still lächelte Aria in sich hinein. Sie musste damit aufhören, Mutmaßungen über Rosen und Ringe anzustellen.
»Auf die Rückkehr alter Freunde – und auf eine unerwartete, aber höchst willkommene neue Freundin.«
Als die Suppe aufgetischt wurde, weckte allein schon der Geruch Arias Appetit. Doch während die anderen zu essen begannen, legte sie ihren Löffel kurz beiseite. Der Kontrast zwischen der rauen Außenwelt, in der sie um ihr Leben gelaufen waren, und diesem prunkvollen Festmahl vor ihnen war schwindelerregend. Nachdem sie ihr ganzes Leben lang mithilfe der Bilokalisation durch virtuelle Welten gestreift war, hätte sie sich eigentlich schneller anpassen müssen. Aber trotz der Fremdartigkeit der Situation genoss sie diesen Moment und alles, was ihr geboten wurde: Dieser Ort bedeutete Sicherheit. Und Wärme. Und Nahrung.
Erneut nahm sie den Löffel und erfreute sich an seinem Gewicht in ihrer Hand. Als sie die Suppe probierte, schienen die verschiedenen Aromen ein Feuerwerk auf ihrer Zunge zu entfachen. Es war lange her, dass sie etwas so Köstliches gegessen hatte. Die Suppe, eine cremige Pilzkreation, schmeckte wunderbar.
Aria warf Perry einen raschen Blick zu. Er saß am Kopfende des Tisches, gegenüber von Marron. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er sich deplatziert fühlen würde. Er gehörte in die Wälder, das wusste sie mit absoluter Sicherheit. Doch er machte einen entspannten, ungezwungenen Eindruck. Glatt rasiert, wie er jetzt war, wirkten die Konturen seiner Wangenknochen und Nase schärfer, und seine grünen Augen, in denen sich das Kerzenlicht spiegelte, glänzten stärker als je zuvor.
Er winkte einen der Bediensteten zu sich. »Wo habt ihr zu dieser Jahreszeit denn Morcheln gefunden?«
»Wir züchten sie hier«, erwiderte der junge Mann.
»Sie schmecken ausgezeichnet.«
Erstaunt schaute Aria auf ihre Suppe. Perry wusste, dass sie Morcheln enthielt. Sie selbst hatte zwar auch Pilze herausgeschmeckt, aber er konnte sie genau identifizieren. Geruch und Geschmack waren miteinander verwandte Sinne. Aria erinnerte sich daran, dass Lumina ihr das einmal erklärt hatte. Es handelte sich um die Sinne, die man nach Sehvermögen, Gehör und Tastsinn als letzte in die Welten integriert hatte. Denn Geruch war der Sinn, der sich am schwersten virtuell reproduzieren ließ.
Sie schaute erneut zu Perry und beobachtete, wie sich seine Lippen um den Löffel schlossen. Wenn sein Geruchssinn bereits so ausgeprägt war, galt das dann auch für seinen Geschmackssinn? Aus irgendeinem Grund ließ diese Vorstellung sie erröten. Rasch nahm Aria einen Schluck Wasser und verbarg dabei ihr Gesicht hinter dem Kristallglas.
»Marron hat an deinem Smarteye gearbeitet«, sagte Perry nun. Er nannte es Smarteye . Nicht Gerät und auch nicht Augendings .
»Seit dem Moment, in dem Perry es mir gegeben hat. Soweit wir sagen können, ist es weitgehend unbeschädigt. Wir arbeiten gegenwärtig daran, die Stromzufuhr wiederherzustellen … ein wenig heikel, ohne ein Peilsignal auszulösen, aber das kriegen wir schon hin. Bald weiß ich, wie lange es dauern wird.«
»Es müssten zwei Dateien darauf sein«, erklärte Aria. »Eine Bilddatei und eine Nachricht von meiner Mutter.«
»Wenn sie sich finden
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