Gebieter der Träume
dann wirst du den Rest deiner Zeit hier hinter Gittern verbringen, verdammt noch mal!«
»Ich hab ja gesagt, ich brauche deine Hilfe!«
Bei diesen Worten knirschte Solin mit den Zähnen. Es lag nicht in seiner Natur, irgendjemandem zu helfen. Anders als Arik war er kein Gott. Er war in die Welt der Menschen hineingeworfen worden und musste hier bleiben und leiden, während die anderen, die so waren wie er, auf dem Olymp oder auf der Verschwindenden Insel weilten, weit entfernt von den Vorurteilen und den Ängsten der Menschen. Und als ob das noch nicht genug wäre, hatten die Götter selbst ihn so grausam bestraft, dass er ihre unbarmherzigen Angriffe nur knapp überlebt hatte.
Und jetzt erwartete einer von denen, dass er ihm half – obwohl er selbst nie von irgendjemandem Hilfe erhalten hatte. Fast hätte Solin darüber gelacht.
Er war nicht einmal sicher, warum er heute hierhergekommen war. Ariks Drohung, er werde ihn in seinen Träumen heimsuchen, bedeutete für einen Mann wie ihn gar nichts. Ihn verfolgten hier bereits gedungene Mörder. Solin hatte sich seinen Ruf wegen seiner Unbarmherzigkeit erworben, und er war stolz darauf.
Doch in all diesen Jahrhunderten hatte er nie von einem Gott gehört, der seinen Status aufgegeben hatte, um ein Mensch zu werden. Die einzigen Götter hier waren entweder verflucht oder ihrer Macht beraubt worden. Nicht ein Einziger lebte freiwillig in dieser Welt.
Nicht einer.
Außer Arik. »Warum bist du hier? Ich meine, warum bist du wirklich hier?«
Arik sah wortlos zur Seite.
»Du beantwortest jetzt meine Frage, oder ich bin weg.« Er sah die Angst in Ariks Augen, dann antwortete er leise:
»Du bist schon immer ein Mensch gewesen. Du hast schon immer Gefühle gehabt. Du weißt nicht, wie es ist, Gefühle zu haben und dann spüren zu müssen, wie sie dich wieder verlassen. Diese Gefühllosigkeit ist meistens zu ertragen. Aber bei Megeara …«
»Liebst du sie?«
Arik sah ihn verärgert an. »Wie sollte ich jemals irgend- jemanden lieben können?«
Da hatte er recht. Selbstaufopferung war für einen Dream-Hunter ein völlig fremdes Konzept.
Arik seufzte tief. »Ich will nur verstehen, woher ihre Leidenschaft kommt. Warum sie über so einfache Sachen lachen kann, zum Beispiel, wenn sie Limonade trinkt. Warum ihre Augen aufleuchten, wenn sie in den Wellen tanzt. Und warum sie sogar im Traum noch weint, wenn sie an ihren Vater denkt.«
Solin schüttelte den Kopf. Anders als sein Bruder verstand Solin das alles. Gefühle waren kein Geschenk. Sie waren der ultimative Fluch der Götter. Arik begriff nicht, dass Zeus ihnen mit seiner Strafe einen Gefallen getan hatte, als er anordnete, man sollte ihnen alle Gefühle nehmen.
Deshalb hatte Solin damals, vor vielen Jahrhunderten, diese Frau auf Arik gehetzt. Er war eifersüchtig gewesen auf die Leere, in der die Oneroi lebten, und er hatte gewollt, dass sie genauso litten wie er. Er wollte, dass sie sich nach Dingen sehnten, die sie nicht berühren konnten.
Sie sollten wissen, was sie versäumten.
Was er getan hatte, war grausam, das wusste er. Aber das Traurige daran war, dass er kein Bedauern darüber spürte. Wie auch? Noch jetzt suchten ihn die Oneroi im Schlaf heim. Er kam niemals zur Ruhe und hatte nie eine Atempause. Die miesen Dreckskerle jagten ihn pausenlos.
Doch als er hier mit einem Bruder stand, den er nicht anerkennen wollte, kribbelte ein fremdes Gefühl in seiner Brust. Es war Mitleid. Und Mitgefühl. Zwei Dinge, von denen er geschworen hatte, dass er sie nie wieder für irgendjemanden empfinden würde.
Und dafür hasste er Arik.
»Wirst du mir helfen?«, fragte Arik Solin.
Solin nickte. Er würde ihm helfen, aber nicht aus den Gründen, die dieser vielleicht annahm. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit Arik ein Mensch sein konnte. Er sollte Megeara so gut wie irgend möglich kennenlernen. Und wenn sie seinetwegen starb, würde Arik endlich voll und ganz begreifen, was es bedeutete, ein Mensch zu sein.
Er würde leiden, wie noch nie zuvor ein Gott gelitten hatte.
7
Geary saß im Auto und starrte ihre Genehmigungen an, als ob sie der Heilige Gral wären, der ihr wunderbarerweise in den Schoß gefallen war. George ignorierte sie höflich. Sie wusste nicht, was die Männer noch so lange aufhielt. Vielleicht hatte Arik eine andere Frau gefunden, die er belästigte …
Der groteske Gedanke verursachte bei ihr einen merkwürdigen Stich von Eifersucht – und das ergab nun wirklich keinen
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