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Gebieterin der Finsternis

Titel: Gebieterin der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Nash
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plazierte die Feder darauf und beobachtete, wie sie verbrannte.
    Als Nächstes streckte sie ihren Arm aus, malte einen Blutkreis um sich und das Feuer und formte so einen starken Schutzring. In ihm sprach sie den Zauber. Es waren furchtbare Silben, verzerrt und hässlich. Sie entstammten einer uralten Sprache, die nur noch wenige Lebende – zumeist solche aus ihrer früheren Einheit – kannten. Mit jedem Vers schüttelte es sie mehr. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihr wurde übel. Jeder Tropfen Lichtessenz in ihr sträubte sich.
    Die Harpyen bemerkten offenbar eine Veränderung in der Atmosphäre, denn sie schlugen mit den Flügeln. Ihre Anführerin reckte den Hals und blickte sich suchend um. Unterdessen sprach Artemis den nächsten Zaubervers. Ein Pulsieren regte sich in ihrem Kreis, wie ein bösartiger Herzschlag. Prompt verließ Artemis der Mut. Noch war es nicht zu spät, den Zauber abzubrechen. Aber das würde sie nicht tun. Sie war zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben.
    Mit der letzten Silbe, die ihr über die Lippen kam, verließ alle Luft den Kreis, so dass Artemis’ Lungen in dem Vakuum protestierten und sie sich wie betäubt fühlte.
    Vor Panik wurde ihr eiskalt. Sie wollte schreien, weglaufen, sich die Haut zerkratzen – irgendwas, das ihr bewies, dass sienoch am Leben war. Doch ihr ganzer Körper war wie eingefroren, ihr Kopf leer, während Todesflammen in ihrer Seele loderten. Ihr wurde erst rot, dann schwarz vor Augen.
    Gleichzeitig dehnte sich ihre Lebensessenz aus, bevor sie in tausend Stücke explodierte.
    Hinterher machte Artemis einen mehrere Sekunden langen Schwebezustand durch, in dem sie nicht wusste, ob sie überhaupt noch in einer für sie begreiflichen Form existierte. Danach öffnete sie zaghaft die Augen und erkannte die Pforten von Dis.
    Die Harpyen unterhielten sich krächzend und grunzend, nickten immer wieder mit den Köpfen, schienen jedoch keinerlei Notiz von Artemis zu nehmen, obgleich sich der Schutzkreis aus Blut aufgelöst hatte. Ihr Feuer und ihr Todeszauber waren erloschen.
    Vorsichtig hob sie ihren Arm, an dessen Stelle nun ein dunkler Flügel war. Sie blickte auf ihre schwarzgefiederte Brust und ihre Vogelkrallen. Triumphierend riss sie ihren Rabenschnabel auf, um einen Freudenschrei auszustoßen.
    Sie hatte es geschafft, sich in einen Raben zu verwandeln!
    Versuchsweise schlug sie einige Male mit den Flügeln. Tatsächlich hob sie vom Boden ab. Erstaunlich, wie leicht ihr das Fliegen fiel. Sie sah zum Tor, das die Harpyen nach wie vor bewachten, neigte die Schwanzfedern zur Seite, so dass sie sich umdrehte, und flog in die entgegengesetzte Richtung über den Sumpf.
    Der ölige Morast zog sich unendlich hin. Artemis vollführte einen Bogen nach links und ließ das Tor weit hinter sich. Als sie glaubte, genügend Abstand zu den Harpyen gewonnen zu haben, stieg sie im Aufwind höher und glitt mit ausgestreckten Schwingen über die Mauer.
    Die Stadt Dis lag ausgebreitet unter ihr. Aus der Vogelperspektive konnte sie mühelos den oberen und unteren Teil unterscheiden – den sechsten vom siebten Kreis der Hölle. Im oberen brannte ein Dauerfeuer. Flammen züngelten aus verkohlten Gebäuden, die nach Exkrementen stinkenden Qualm absonderten. Die Verdammten auf dieser Ebene, Hunderttausende brennender Leichen, rannten durch die Flammen und schrien in unendlicher Pein. Im Leben waren sie blasphemisch gewesen, hatten geflucht und alles Heilige verleugnet. Die lodernden Feuer von Dis würden nie heiß genug brennen, um sie zu reinigen.
    Eine zweite Mauer trennte den Bereich von der inneren, tieferen Stadtebene. Artemis flog über sie hinweg und schwebte über einer gewaltigen Grube. In die Seitenwände waren Nischen eingelassen. Wimmernde Tote, eingekerkert in Schmerz und Elend, schrien nach Artemis, als sie vorbeiflog. Gegeißelt von lachenden Dämonen, zerhackt von keckernden Harpyen oder geprügelt von buckligen Kobolden, durchlitten die Sünder hier alles, was sie selbst einst anderen antaten.
    Was Artemis an Mitgefühl aufbrachte, schwand schlagartig, als sie näher an einer der Nischen vorbeiflog, in der zwei angekettete Tote, ein Mann und eine Frau, sich unter der Dornenpeitsche eines grünschuppigen Dämons wanden.
    »Das ist alles deine Schuld!«, brüllte der Mann mit wutverzerrtem Gesicht und riss an der Kette, die seine Handgelenke an die der Frau fesselte, so dass sie auf die Knie stürzte.
    Fluchend trat die Frau nach ihm. »Du Scheißkerl! Wärst du nicht

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