Gebieterin der Finsternis
Oger, Werwölfe, Elfen, Sidhe, Selkies. Sie alle standen für Komplikationen, die Artemis nicht gebrauchen konnte, weshalb sie solche Wesen tunlichst meiden wollte.
Vorsichtig näherte sie sich den stehenden Steinen, so weit sie konnte. In den Grabmalen waren schon längst keine Toten mehr, aber die Magie, die einst Menschen verleitete, ihre Vorfahren dort zu bestatten, hielt ewig. Diese Gräber standen am Schnittpunkt von mehreren Energielinien, und deren natürliche Kraft, gepaart mit der Magie vergangener Hexen, die den Boden für die Begräbnisse gesegnet hatten, vibrierte noch heute unter Artemis’ Füßen.
Die Luft surrte vor Elektrizität, als würde ein Gewitter her aufziehen, obwohl die Spätnachmittagssonne die klare, frische Luft erhellte. Nur Minuten vor Sonnenuntergang wurden die Schatten länger. Artemis’ Hand wanderte von selbst zu ihrem Hals, wo sich ihre Finger um den Mondstein in seinem Schutzbeutel schlossen. Bald würde Malachi den Preis in Händen halten, und sie wäre auf dem Weg zu Sander.
Sie mischte sich unter die Menge, wobei ihr Abwendzauber dafür sorgte, dass niemand sie bemerkte. Gleichzeitig holte sie die Photomappe aus ihrer Tasche und schlug sie beim neuesten Photo ihres Sohnes auf. Das hatte sie letztes Frühjahr auf einem Spielplatz gemacht. Ihr Herz schmerzte bei der Erinnerung.
»
Guck mal, Mommy!
«
Sander hatte seinen hageren Körper ganz oben auf das knotige Kletterseil geschwungen, gute viereinhalb Meter über dem Boden. Ehe Artemis reagieren konnte, stürzte er sich in die Luft, wo er einen Moment lang wie schwebend hing, die Arme ausgebreitet, bevor er sicher wie eine Katze auf den Füßen landete.
Artemis hatte den Landezauber heruntergeschluckt, ehe sie zu Sander rannte, der strahlte. Er hatte selbst einen Zauber gesprochen.
»Hast du das gesehen, Mommy?«
»Ja. Das war toll, Baby.«
»Ach, Mommy, du sollst das nicht zu mir sagen. Ich bin kein Baby mehr.«
Er hatte recht. »Natürlich bist du das nicht.«
»Und meine Magie ist echt toll.«
»Ja, ist sie.«
Genau das war das Problem. Die Magie ihres Sohnes war stark. Seine Talente, wie ihre, waren fast gleich zwischen Lebens- und Todesmagie aufgeteilt. Und so dauerte es nicht lange, bis die Paranormale Militärabteilung auf Sanders Potenzial aufmerksam wurde. Sowie Artemis begriff, was geschah, verließ sie das Militär, indem sie sich die drastische Truppenreduzierung zunutze machte, die auf den Sieg der Unsterblichen über die Todesmagie folgte. Sie wollte nicht, dass Sander inihre Fußstapfen trat. Er sollte die dunklen Künste nicht lernen müssen wie sie. Sie wollte nicht, dass auch er mit Vampiren, Todeszauberern und Dämonen umgehen musste.
Hätte sie doch bloß geahnt, dass ihr Kontakt zu einem speziellen Dämon ihren Sohn bereits in Gefahr gebracht hatte! Der Sieg der Unsterblichen über einen dreckigen Ewigen hieß nicht, dass das Böse selbst zerstört worden wäre. Finsternis und Licht waren zwei Seiten derselben Medaille. Gleich starke Kräfte, die voneinander abhingen. Ein Ewiger war fort, aber es gab andere, gleich verkommen, um die Lücke zu füllen.
Gerade Artemis hätte auf der Hut sein müssen, denn schließlich wusste sie besser als sonst jemand, wie Dämonen vorgingen. Jahrelang hatte sie nichts anderes getan, als sie zu überlisten, und sie hatte sich mehr als einem tödlichen Feind gestellt. Sie hätte den Angriff auf Sander voraussehen müssen.
Ihre Schuldgefühle waren erdrückend. Hätte sie ihren Sohn nur gründlicher geschützt. Wäre sie aufmerksamer gewesen. Dann müsste Sander jetzt nicht in einem Krankenhausbett liegen. Er lebte. Das bewiesen die piependen Überwachungsgeräte. Aber da war kein Licht hinter seinen wunderschönen Augen. Sein Körper war nur noch eine Hülle, während seine Seele, seine Lebensessenz fort war. Gestohlen.
Die Tränen, die sich ankündigten, blinzelte sie energisch weg und steckte das Photo wieder in ihre Tasche. Sie hätte es gar nicht ansehen dürfen. Nicht jetzt, wo ihr Treffen mit Malachi unmittelbar bevorstand. Alles hing von den nächsten paar Stunden ab. In diesem magischen Spiel musste sie gewinnen.
Aber als sie ihre Gedanken vertrieb, wurden sie durch andere ersetzt, und die galten Mac. Götter! Wie beschämend musste es für ihn gewesen sein, als er in den stinkenden Überrestenihres Zaubers aufwachte. Er war gewiss rasend wütend. Ja, sie konnte beinahe vor sich sehen, wie seine grünen Augen vor Zorn funkelten.
Mit wachsender
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