Gebissen
groß und klein. 2500 Einwohner ist ziemlich klein, wenn du abends was unternehmen willst.«
»Aber nicht mit zehn Jahren, oder?«
»Nein.« Er grinste. »Aber später. Ich war irgendwie immer ein Nachtmensch, wollte schon mit dreizehn oder vierzehn nicht ins Bett.«
Sie sah ihn einfach nur an.
»Was?«
»Nichts.«
»Na gut. Aber jetzt bist du dran. Du hast es versprochen.«
»Nur noch eine Frage. Trinkst du gern Blut?«
»Spinnst du?«, fuhr Alex sie an.
»Ja oder nein?«
»Natürlich nicht!«, giftete er. Doch dann dachte er an seinen Wunsch, Lisa den Hals aufzureißen. Daran, dass er sich dieselbe Frage auch erst kürzlich gestellt hatte, an seine Anwandlungen als Kind, das eigene Blut zu trinken.
Hatte er sich mehr als nur einmal eine Schürfwunde wieder aufgerissen, um an ihr zu nuckeln? Fast kam es ihm vor, als könnte er den Geschmack von Blut auf seiner Zunge spüren - und er mochte ihn.
Verdammt!
»Sicher?«, hakte sie nach.
»Ich ... nein. Ich meine ...«
Sie seufzte. »Eigentlich ist das wirklich nicht meine Aufgabe, aber dein Vater konnte dir das ja nicht mehr erzählen, und wenn du nicht von allein draufkommst, dann mach ich es kurz und schmerzlos.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Du bist ein Vampir.«
Er tippte sich an die Stirn. Sie war tatsächlich bekloppt, und zwar richtig. »Ja, klar, ein Vampir. Und woher weißt du das? Weil du auch einer bist?«
»Nein. Ich bin eine Nephilim.«
Nephilim.
In seinem Kopf drehte sich alles. Das konnte kein Zufall mehr sein. War er ungewollt in ein wirres Spiel geraten, an dem nicht nur Danielle, sondern auch der Spinner aus der Bergmannstraße beteiligt war? War das Ganze doch ein Rollenspiel? Er konnte es nicht einschätzen, hatte nie mitmachen wollen, nachdem Kommilitonen ihm davon erzählt hatten, er war einfach kein Spieler.
Warum aber hatte er dann Lisa in den Hals beißen wollen? Woher war dann sein wütender und unvermittelter Hass auf den fremden Spinner gekommen?
Mit beiden Händen griff er sich in die Haare, als könnte er seinem wild rotierenden Kopf so Halt geben. Doch es half nichts, seine Gedanken wurden zu einem Strudel aus Bildern und Erinnerungen, die ihn in die Tiefe ziehen wollten. Die Narbe pochte. Ein Vampir - so ein Unsinn!
»Warum kann ich dann im Sonnenlicht überleben?«, stieß er hervor.
»Was hat das damit zu tun?«
»Vampire explodieren im Sonnenlicht.«
»Blödsinn, tun sie nicht. Glaubst du alles, was du im Kino siehst?«
»Nein. Aber ich glaube auch nicht alles, was mir irgendwer erzählt.« Trotzdem hatte er Lisa beißen wollen, auch Danielle vorhin. Nachts sah er plötzlich besser. Aber das geschah alles erst seit wenigen Tagen, nicht seit dreiundzwanzig Jahren. Früher hatte er sich umbringen wollen, nicht andere aussaugen. »Ich glaub dir einfach nicht, dass diese Kreatur ein Vampir gewesen ist, der mich auch zu einem gemacht hat.«
»Genau genommen war die Kreatur kein Vampir.«
»Aha. Sondern?«
»Soviel ich weiß, nennt ihr sie einfach nur Vater oder Mutter, je nachdem.«
»Ihr? Nein, lass mich da raus, ich bin keiner von denen.« Er schüttelte den Kopf, den er noch immer in den Händen hielt. Sie war bekloppt, bekloppt, bekloppt! Das alles würde sich schon irgendwie erklären lassen, ganz sicher. Er musste nur nach anderen Antworten suchen, nach vernünftigen. »Ich bin keiner. Niemand ist einer. Es gibt keine Vampire, auch keine Nephilim. Ich bin ein Mensch. Ein Mensch! Wir sind beide Menschen. Alles klar?«
»Komm mit.« Ihre Stimme war ganz ruhig. Sie nahm ihn an die Hand, und er wehrte sich nicht. Schweigend führte sie ihn ins Wohnzimmer und deutete auf die zerstörte Einrichtung. »Meinst du, das passiert, wenn zwei Menschen miteinander schlafen?«
»Kommt auf ihre Leidenschaft an«, erwiderte er trotzig, auch wenn er wusste, dass das Unsinn war, Widerrede um der Widerrede willen. »Unter mir ist schon mal ein altes Sofa zusammengebrochen.«
»Das hier sah nicht sonderlich alt aus.«
»Ja und?«
»Du meinst nicht, dass du irgendwo blaue Flecken haben müsstest oder Schmerzen? Irgendwer von uns hat das Regal von der Wand gerissen.«
»Vielleicht warst du das und erzählst mir nichts von deinen Schmerzen. Spüren kann ich die ja nicht. Und du bist auch in den Schrank gefallen.«
Sie zog die linke Augenbraue hoch und schüttelte ganz leicht den Kopf. Dann fragte sie: »Machst du Sport?«
»Was? Seh’ ich so aus? Nein.«
»Wenn ich dir jetzt sage, du sollst mich hochheben, dann
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