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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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galt. Gleich unter uns, rechts von Garda, ragt zum Beispiel die kleine schmale Landzunge San Vigilio in den See. Dem äußersten Punkt dieser Halbinsel, der Punta San Vigilio, hat nicht etwa ein klischeeanfälliger Schwärmer, sondern der nüchterne Seelenanalytiker Sigmund Freud die Diagnose gestellt, er gehöre »zum Allerschönsten am See, also zum Allerschönsten überhaupt«.
    Der gleichen Ansicht müssen auch Prince Charles und Juan Carlos von Spanien gewesen sein, die – als sie noch junge Prinzlein waren, die Zeit für derartige Kurzweil hatten – den Aufenthalt in der Locanda San Vigilio, dem kleinen teuren Hotel auf der Spitze der Landzunge, oder auf dem benachbarten Schloß der Grafen von San Vigilio ebenso genossen wie Winston Churchill oder das Traumpaar des britischen Kinos, Vivien Leigh und Laurence Olivier.
    Doch eben, das ist alles schon eine Weile her. Zwar ist die Punta San Vigilio inzwischen keineswegs im See versunken; auch das kleine Hotel steht noch am alten Platz – und es verlangt, gemessen selbst am oberen Gardasee-Level, immer noch gesalzene Übernachtungspreise. Doch wer die heute bezahlt, muß anderes im Sinn haben als die splendid isolation vor idyllischer Traumkulisse, die es den prominenten Touristen von damals angetan hat. Erhabene oder auch nur friedliche Einsamkeit ist nämlich ziemlich genau das Gegenteil von dem, was San Vigilio seinen heutigen Besuchern zu bieten hat. Die über die gesamten 400 Längenmeter der Landzunge führende Auffahrtsallee zum Schloß ist zwar für den öffentlichen Autoverkehr gesperrt, nicht aber für den Besucherverkehr an sich, und der schwillt nicht nur an Sommerwochenenden schon mal auf einige tausend Schaulustige pro Tag an. Vor den Parkplätzen an der Basis der kleinen Halbinsel stauen sich deshalb in schöner Regelmäßigkeit die Fahrzeuge auf der Straße von Garda zur Punta San Vigilio, die fatalerweise zugleich Teil der Verbindungsstraße von der Autobahnausfahrt Affi zum nördlichen Seeteil und zur einzigen existierenden Autofähre (von Torri del Benaco nach Maderno) ist.
    Wer es, oft nach langer Wartezeit, geschafft hat, sein Auto abzustellen, und sich auf den Weg zur Punta San Vigilio macht, bekommt zwar die Hauptattraktionen der Halbinsel – das Schloß, das Hotel und die Kirche San Vigilio – nicht von innen zu sehen. Was er aber sieht, ist die Landschaft: der von riesigen Zypressen bestandene Schloßpark (der dereinst älteste dieser Bäume fiel im Sommer 1995 nach 300jährigem Leben um und liegt seither im südlichen Teil der Halbinsel als sein eigenes Denkmal aufgebahrt), das Wasser des immer wieder durch die Hecken schimmernden Sees, die grünen Hügel, die sich im Rücken von San Vigilio, und die fernen blauen und grauen Berge, die sich gegenüber am anderen Ufer erheben, dazu die Farben des Himmels und das stets wechselnde, gegen Abend hin oft wie unwirklich leuchtende Licht …
    Wer es schafft, aus diesen Bildern die Heerscharen der anderen Besucher wenigstens für einen Moment auszublenden, in dem mag sich immerhin eine Ahnung von dem regen, was dieses winzige Stück Land im Gardasee einmal zu einem der begehrtesten Urlaubsziele Europas gemacht hat. Die meisten San-Vigilio-Touristen haben mit solchen Einfühlungsoperationen freilich wenig am Hut; ihnen scheint die bloße Behauptung von Exklusivität zu genügen. Und eben auf diese Behauptung stützt das Management der nach wie vor im gräflichen Besitz befindlichen Firma »San Vigilio« sein bemerkenswert cleveres Konzept, in dem die Gäste des Hotels die Rolle von Luxusmenschen spielen, an die die schaulustigen Besuchermassen hier sehr viel näher herankommen als daheim in ihrem Alltag: Das öffentliche Café von San Vigilio hat seine Tische auf der Mole des winzigen Jachthafens aufgestellt, sozusagen direkt unter den Zimmerfenstern der Locanda San Vigilio, was den Cafégästen Gelegenheit gibt, nicht nur das Kommen und Gehen der Hotelgäste, sondern auch die An- und Abfahrt von deren Jachten – Jachtnixen inklusive – hautnah zu beobachten. Und was, zumindest aus Sicht der Inselverwertungsfirma, das Schönste dabei ist: Es finden sich immer genug Hotelgäste, denen dieses permanente Angestarrtwerden nicht nur keineswegs lästig ist, sondern die gar genau dafür teuer bezahlen.
    So wie mit der Punta San Vigilio ist das mit vielen, wenn auch (wie sich in den folgenden Kapiteln unserer Gebrauchsanweisung herausstellen wird) durchaus nicht mit allen Attraktionen des Gardasees

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