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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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und seiner Umgebung: Man sollte sich davor hüten, ihnen allzu nahe zu kommen. Wobei die Sache gottlob auch umgekehrt funktioniert. So dauert etwa die Fahrt vom Parkplatz an der Landzunge hinauf zur Einsiedelei auf dem Monte San Giorgio gerade einmal zwanzig Minuten. Doch was man auf diesem Weg hinter sich läßt, sind mindestens 50 Jahre touristischer Entwicklung und Überentwicklung. Selbst Rummelplätze wie Garda und San Vigilio wirken von hier oben aus betrachtet so, als sei diese Zeit an ihnen spurlos vorübergegangen.
    Und wieder einmal stellt sich uns an dieser Stelle, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, die Frage, die uns immer dann durch den Kopf geht, sobald wir uns am Gardasee ein wenig abseits der touristischen Trampelpfade umschauen: Wieso sind wir hier eigentlich allein oder fast allein? Daß die Menschen es im Urlaub gern bequem haben, versteht man ja durchaus. Aber: Von Strapazen ist gar nicht die Rede. Nicht nur bei Garda trennen oft nur wenige Auto- oder Gehminuten die Allerweltsziele von jenen besonderen Plätzen, die sich in der Region um den Gardasee auch heute noch nahezu mühelos entdecken lassen. Oft reicht es schon, aufs Geratewohl der einen oder anderen Seitenstraße zu folgen, wie eben der, die von der Straße zwischen den beiden vor allem bei deutschen Pauschalreisenden (und Reiseanbietern) so übermäßig beliebten Seeorten Garda und Bardolino hinauf auf den Monte San Giorgio führt.
    Zugegeben, es gibt mittlerweile bereits einige (wenige) Veranstalter, die die Einsiedelei hier oben in ihre Sightseeing-Touren eingebaut haben. Schließlich bietet schon die überraschend imposante Konstruktion des hohen, von zwei steinernen Treppenrampen flankierten Eingangstors der Klosteranlage ein spektakuläres Photomotiv. Die meisten Besucherkollektive begnügen sich aber damit – und womöglich noch mit einem Besuch im kleinen Klosterladen, in dem ein bemerkenswert breites Sortiment von Pflanzenlikören (unser Favorit: der Amaro Rabarbaro, ein bitterer Rhabarberlikör), biologisch produzierten Weinen und Olivenölen sowie Naturkosmetika angeboten werden. Praktischerweise ist dieser Laden im kleinen Pförtnerhäuschen untergebracht, so daß die Besucher sich den kurzen Weiterweg hinauf zur Kirche und zu den Klostergärten sparen können – und das tun sie dann in der Regel auch.
    Die Frage, wieso sich Touristen derart lethargisch verhalten, können und mögen wir hier gar nicht beantworten. Wozu auch? Wir begnügen uns mit der Feststellung, daß die Touristen es nun einmal tun, und sind darüber keineswegs besonders traurig. Schließlich bleiben wir auf diese Weise hübsch ungestört. Und verstehen nun auch das leise Lächeln, mit dem Fra Lorenzo den Kopf schüttelte, als wir ihn fragten, ob die Öffnung der Abtei für Tagesbesucher nicht mit dem Ruhebedürfnis der länger bleibenden Gäste in Konflikt gerate – und ob beides miteinander nicht im Widerspruch zum strengen Abgeschiedenheitspostulat der Mönche stehe. »Womöglich könnten die Besucher uns stören«, hat Fra Lorenzo gesagt, »aber bisher haben sie es gar nicht versucht.«
    Auf dem Rückweg hinunter an den See fällt uns noch ein anderer Satz Fra Lorenzos ein; es ist der, mit dem die vom heiligen Romuald um das Jahr 1000 nach Christus formulierte »Kleine Regel« der Kamaldulenser beginnt: »Nimm Platz in deiner Zelle, als wenn du im Paradies wärest.«
 

5. Süßes Meer
oder Wie die Sardine in den See kam
     
     
     
    Sobald mitteleuropäische Seen eine gewisse Größe erreicht haben, werden sie vom Volksmund gern als »Meer« tituliert: Der Bodensee als »schwäbisches«, der Chiemsee als »bayrisches« – vom sogar hochamtlich so heißenden Süßwassersee »Steinhuder Meer« ganz zu schweigen. Merkwürdigerweise aber hat noch nie jemand den Gardasee als »Meer« bezeichnet. Dabei hätte er das zumindest mehr als die genannten Seen verdient, und das nicht nur wegen seiner Größe – seine Wasseroberfläche nimmt beachtliche 370 Quadratkilometer ein. Noch mehr zur Meerähnlichkeit tragen die anderen Abmessungen des Gardasees bei: Er erstreckt sich über fast 52 Kilometer von Norden nach Süden in die Länge; was ihm dabei im zuweilen kaum drei Kilometer schmalen Nordteil an Breite fehlt, gewinnt er im Süden, wo sich die Distanz zwischen Ost- und Westufer bis auf 17,2 Kilometer erweitert. Das ist weiter als man an diesigen Tagen sehen kann: Kein Wunder, daß man sich optisch tatsächlich am Meeresufer glaubt, wenn man von den

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