Gebrauchsanweisung für den Gardasee
Allerdings nicht völlig: In den Tälern, die durch die Auffaltung der Berge entstanden, blieben zunächst teilweise sehr tiefe Meerarme erhalten, die nur sehr allmählich zu schrumpfen begannen. Zudem kam es, als sich später Teile des südlichen Voralpenlandes tief absenkten, gegen Ende des Tertiärs, vor zwei Millionen Jahren, noch einmal zu einer Überflutung des heutigen Gardaseegebiets.
Unser Fischrätsel ist damit allerdings noch nicht gelöst: Die Gardasee-Sardine müßte schon ein sehr erstaunliches Tier sein, wenn sie überlebt hätte, was dann passierte: 200000 Jahre lang schoben sich während der letzten Eiszeit riesige Gletschermassen aus den Alpentälern und füllten das gesamte Gardaseebecken. Erst vor vergleichsweise kurzer Zeit, nämlich vor circa 15000 Jahren, zogen sich die Gletscher wieder Richtung Hauptalpenkamm zurück. Die Endmoränen, die sie hinterließen – es handelt sich um jenen Hügelkranz, der sich wie die Ränge eines Amphitheaters hinter dem breiten Südufer des Gardasees erhebt – bildeten eine natürliche Barriere, vor der sich die Schmelzwasserzuflüsse zu einem großen Süßwassersee stauten.
So weit, so gut; aber wo bleibt denn nun unsere Sardine? Die schwimmt, wir schreiben ungefähr das Jahr 10000 vor Christus, immer noch fröhlich im Mittelmeer herum – und hat sich dabei doch schon ganz dicht bis an den Gardasee herangetastet. Der nämlich lag zu dieser Zeit nicht, wie heute, gute hundert, sondern gerade mal ein paar Kilometer vom Meer entfernt, das damals noch die gesamte heutige Poebene bedeckte, wobei, und das ist die fürs weitere Schicksal der Gardasee-Sardine entscheidende Tatsache, der Meeresspiegel höher lag als die damalige Oberfläche des Gardasees. In den stürzten damals infolge von Erdrutschen riesige Gesteinsmassen. Die natürliche Staumauer der südlichen Endmoränen aber hielt dem dadurch bewirkten Druck nicht stand und brach ein, mit der merkwürdigen Folge, daß nun nicht etwa die Fluten des Gardasees ins unmittelbar angrenzende Meer strömten, sondern umgekehrt: Zunächst einmal strömte das Meerwasser und mit ihm eine Schar von Fischen der Art Alosa fallax, durch das heutige Tal des Mincio in den See ein, der dadurch noch einmal – und vorläufig zum letzten Mal in seiner Geschichte – zu einer Art alpinem Meeresarm wurde. Also, mit anderen Worten, genau zu dem Stück Meer, als das wir den Gardasee an seinem südlichen Ende noch heute oft empfinden.
In Wahrheit hielt dieser Zustand allerdings nur eine (in erdgeschichtlichen Dimensionen gemessen) winzige Zeit an, so lange nämlich, bis sich einerseits das Mittelmeer soweit zurückgezogen und andererseits sich der Verbindungskanal zwischen Meer und See so tief in sein Bett gegraben hatte, daß der Wassertransport wieder in der ordnungsgemäßen Richtung verlief. Aus dem Gardasee über den Mincio (und ab irgendwann auch über den Po) ins Meer. Die versprengten Sardinen allerdings hatten diese Zeit und die anschließende allmähliche Wieder-Entsalzung des Sees genutzt, um sich an die Süßwasserumgebung anzupassen.
Eine alte Gewohnheit ihrer maritimen Vorfahren freilich haben die Gardasee-Sardinen bis heute beibehalten: Sie wandern während des Jahresverlaufs in geschlossenen Schwärmen von einer Stelle des Sees zur anderen – ein Bewegungsverhalten, das ihren schon immer im Süßwasser lebenden Artgenossen niemals in den Sinn käme. Die kulinarische Konsequenz daraus: Frisch gefangene See-Sardinen werden entlang der verschiedenen Uferzonen des Sees zu unterschiedlichen Jahreszeiten angeboten. Wundern Sie sich also nicht, wenn diese köstlichen Fische einmal nicht auf der Speisekarte stehen; das ist eher ein Indiz dafür, daß sich Wirt und Koch erfreulich streng an das regionale Saisonangebot halten.
Doch wir sind gewaltig vom Thema abgekommen – von der lieben Not, die man damit haben kann, am Gardasee halbwegs schöne Badestellen zu finden. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir es wohl oder übel den See-Sardinen nachmachen und uns an verschiedenen Uferzonen umtun. Mehr darüber im nächsten Kapitel.
6. Unter dem Pflaster liegt der Strand oder Ein Badekapitel für Entdeckungslustige
Schon der allererste Augenschein erweist den durchschnittlichen Gardasee-Urlauber, was dessen näheren Kontakt zum See betrifft, als erstaunlich genügsames Wesen. Will er schwimmen oder auch nur ein Sonnenbad am Ufer genießen, stellt er sein Auto schlicht am Rand einer der beiden
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