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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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– es verhält sich da genauso wie mit den versteckten kleinen Badestellen auf der anderen Seeseite.
    Zugegeben, vom Meer-Gefühl, das einen am flachen Südteil des Gardasees immer wieder anfällt, spürt man bei der Erkundung der alpinen Naturbadegelegenheiten nichts mehr. Man kann halt nicht alles haben – was aber am Gardasee gottlob nur bedeutet: Man kann nicht alles auf einmal haben. Und selbst dieses »nicht auf einmal« reduziert sich hier auf »nicht in ein und derselben Minute«. Die vielen verschiedenen, ja gegensätzlichen Landschaftsräume dieser Region liegen derart nahe beieinander, daß man sich ohne weiteres an einem Bergbach irgendwo oberhalb des Ostufers die Plagen der Mittagshitze erträglich machen und dennoch seinen Nachmittagskaffee da einnehmen kann, wo sich der im Norden so enge See wieder zum lichten Meer zu weiten scheint.
     
    Alles nur eine Frage der Planung? Bitte nicht! Natürlich könnte man sich, sobald man einmal weiß, wo sich die einsamsten Privatbuchten, die tiefsten Bachgumpen, die nettesten Bars, die friedlichsten Klöster et cetera befinden, hier leicht ein »20-Attraktionen-in-6-Stunden«-Programm zusammenstellen, nach dem bekanntlich gar nicht so seltenen Motto »Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen in den Urlaub gefahren«. Wirklich kennenlernen wird man diese wunderbare Region jedoch erst dann, wenn man sich in ihr treiben läßt.
 

7. Erstwohnsitz Gardasee
oder Europas Kalifornien
     
     
     
    Alle fahren hin – aber wer lebt eigentlich am Gardasee? Die Frage, das sei gleich vorausgeschickt, ist nicht leicht und schon gar nicht eindeutig zu beantworten. Liest man einen beliebigen Reiseführer über, sagen wir, Sardinien oder Südtirol, wird man in der Einführung oder im landeskundlichen Kapitel unweigerlich über Herkunft und Charakter der Südtiroler (tüchtiges, lebenslustiges Bergvolk mit keltischen Urahnen) oder der Sarden (leidenschaftliches, aber eher verschlossenes Mischvolk romanischer Abstammung mit sarazenischem Einschlag) aufgeklärt werden. Auch sonst scheint sich, wo immer die Rede von einer bestimmten Region ist, deren Bevölkerung relativ genau beschreiben und von denen anderer Regionen abgrenzen zu lassen – hier die temperamentvollen, an archaischen Bräuchen hängenden Bewohner der neapolitanischen und kampanischen Küste, da die nicht nur auf ihre einst die Welt beherrschenden Vorfahren stolzen Römer, und dort schließlich die ernsten und fleißigen Piemontesen, deren enge Bindung an die französischen Nachbarn sich sogar in ihrer Mundart niederschlägt.
    Sucht man aber entsprechende Auskünfte über die Einheimischen am Gardasee zu erlangen, geben sich die sonst so beredten Landes- und Stammeskundler merkwürdig zugeknöpft, sofern sie nicht vollends in ratloses Stillschweigen verfallen. Allenfalls erfährt man, mit Hinweis auf die Aufteilung des Seegebiets auf drei italienische Provinzen, daß sich die Uferbevölkerung aus Tridentinern, ursprünglichen Bewohnern der Poebene und Lombarden zusammensetze. Doch abgesehen davon, daß dieser Hinweis nur aus einer Tautologie besteht, führt er schon deshalb nicht viel weiter, weil er gewöhnlich von der Bemerkung ergänzt wird, es seien nicht gerade die typischen Tridentiner oder Lombarden oder Po-Anrainer, die man heute am Gardasee antreffe. Aber was dann? Sind die Menschen, die hier leben, vielleicht so etwas wie Exil-Lombarden oder Exil-Tridentiner?
    Lachen Sie nicht – so abwegig, wie sie klingt, ist diese Vermutung am Ende gar nicht. Auch auf die Gefahr hin, die Zunft der Stammeskundler damit vor den Kopf zu stoßen: Nach ausgedehnten Forschungen vor Ort glauben wir mittlerweile die These aufstellen zu können, daß sich hier am Gardasee mittlerweile tatsächlich eine ganz spezifische Mischbevölkerung zusammengefunden hat, die schwer anders definierbar ist als durch die allen gemeinsame, kürzer oder länger zurückliegende Herkunft aus anderen Regionen und, natürlich, durch ihre jetzige Nachbarschaft zum See. Wir wollen nicht soweit gehen, die Menschen am Gardasee (für die es noch keinen eigenen Namen gibt) als die Nordamerikaner Mitteleuropas zu bezeichnen. Aber wie wäre es statt mit ganz Nordamerika wenigstens mit Kalifornien als Vergleichsobjekt? Auch dessen Bewohner sind ja schließlich Amerikaner: ein Volk ehemaliger Exilanten, das in seiner jetzigen Umgebung mittlerweile eine neue Eigenständigkeit entfaltete.
    Wahr ist, daß die Menschen, die dauernd am Gardasee wohnen, in der

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