Gebrauchsanweisung für den Gardasee
möchte für seine Unterschrift ein Prozent, einen ziemlich dicken Brocken, nämlich zehn bis zwölf Prozent, kassieren die Behörden und Ämter. Ach ja, und dann gibt es noch die Grunderwerbssteuer; um einen Teil davon pflegen sich die Beteiligten traditionsgemäß zu drücken, indem sie einen vorbildlich niedrigen Kaufpreis erfinden (und den realen Rest über schwarze Kassen fließen lassen). Der Staat läßt sich das kalt lächelnd gefallen – und holt sich anschließend das ihm vorenthaltene Geld zurück, indem er einen bemerkenswert hohen Grunderwerbssteuersatz festlegt. Derzeit liegt er bei sieben Prozent – das sind doppelt soviel wie in Deutschland.
So werden aus 180000 sehr schnell 210000 Euro und mehr. Doch wir sind immer noch bei der bloßen Mathematik; über das Appartement, das so viel kosten soll, wissen wir bis auf die Tatsache, daß es 60 Quadratmeter klein ist, immer noch nichts. Aber die »Gardaseezeitung« (sie erscheint ein- bis zweimal pro Monat und wird kostenlos an die deutschen Seebesucher verteilt) weiß mehr; wir zitieren aus ihrer Ausgabe von Anfang August 2004, die sich mit dem Bau und der Vermietung von Zweitwohnungen auf den Hängen oberhalb von Malcesine befaßt: »Am gefragtesten sind Standorte mit Panoramablick auf den Gardasee. Beim größten Teil der zur Verfügung stehenden Immobilien handelt es sich um Appartements in Wohnkomplexen, die in den 70er Jahren entstanden und zu touristischem Gebrauch bestimmt sind.«
Nicht daß wir irgend jemanden vergraulen wollen. Aber genauso, wie sich das anhört – Wohnkomplexe zu touristischem Gebrauch bestimmt –, sieht es an betrüblich vielen Zweitwohnungsstandorten oberhalb des Gardasees inzwischen auch aus. Anders gesagt, Hanglage und Seeblick allein garantieren noch längst keine Idylle. Und das wiederum bedeutet: Wer mehr will als seinen Seeblick vom Balkon einer dünnwandigen Wohneinheit aus genießen, eine von Dutzenden, ja manchmal Hunderten, die nach dem gleichen Muster geklonter Einheiten auf ihrerseits gleich aussehende Appartementblocks verteilt sind, der muß schon wesentlich tiefer in die Tasche greifen.
Eben dazu sind die deutschen Ansiedlungswilligen in der Regel eher bereit (und imstande) als die italienischen. Sie suchen nicht irgendeine kürzlich hochgezogene Freizeit-Immobilie, sondern ein wirkliches, solides und gerne schon vor längerer Zeit gebautes Landhaus, ein rustico. Das wiederum freut die Makler, und es würde sie noch mehr freuen, wenn nicht gerade ihre deutschen Kunden über die obligatorischen Wünsche nach ruhiger Lage und Seeblick hinaus oft noch ein ganz spezielles Anliegen hätten: Sie möchten während ihres Seeaufenthalts um keinen Preis in der Nähe von anderen Deutschen wohnen.
Ein merkwürdiger Charakterzug, diese Berührungsangst vor unseresgleichen – und dazu einer, den wir Deutschen mit keiner anderen Nation teilen. Wenn es überhaupt ein typisch deutsches Urlauberverhalten gibt, dann ist es dieses – und nicht etwa der Hang zu ausgeprägter Alkoholseligkeit (in dem Punkt können zumal Angelsachsen und Skandinavier locker mithalten) oder gar die den Deutschen, meist allerdings von anderen Deutschen, immer wieder nachgesagte Unfähigkeit, sich den Sitten und Gebräuchen ihrer Gastländer anzupassen. Richtig ist ja eher das Gegenteil: Zumindest die besseren deutschen Touristen, und wer zählt sich nicht gern zu diesen, investieren im Urlaub oft rührend viel Ehrgeiz in den Versuch, es in möglichst jeder Hinsicht ihren Gastgebern nachzutun, um nur ja nicht für deutsche Touristen gehalten zu werden.
Klar ist auch: Was für gewöhnliche Touristen gilt, gilt für Ferienhausbesitzer doppelt und dreifach. Man kann sich darüber leicht lustig machen – und kann es doch auch ganz gut verstehen. Wer sich ein Haus baut oder ein Haus kauft, der will eben in der Regel mehr als nur im Urlaub Herr in seinen eigenen vier Wänden sein. Ihn leitet vielmehr die Sehnsucht, sich ein Stück zweiter Heimat zu schaffen. Und je weiter die nicht nur geographisch, sondern auch mental vom Herkunftsort und vom plagenreichen Alltag entfernt ist, desto besser stehen die Chancen des Zweitwohnsitzes, zumindest in den Augen seines Besitzers, sogar zur ersten, zur eigentlichen Heimat aufzusteigen: Hier ist er Mensch, hier darf er’s – endlich! – sein! Wer wollte es ihm da übelnehmen, wenn er bei diesem Versuch, neue Wurzeln zu schlagen, auch von den Nachbarn, die immer schon hier wohnen, als einer der Ihren
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