Gebrauchsanweisung für den Gardasee
Verona
Gerade mal 23 Luftlinien- oder 28 fast durchgehend über die Autobahn verlaufende Straßenkilometer liegen zwischen Verona und dem Südende des Gardasees. Es versteht sich, daß die Veronesen unter diesen Umständen den unteren Seebereich als quasi stadteigenes Naherholungsgelände betrachten. Dennoch ist die Beziehung zwischen Stadt und See eine ziemlich einseitige Angelegenheit geblieben: So sehr der vor allem am Wochenende boomende städtische Ausflugs- und Badebetrieb ihrer Fremdenverkehrswirtschaft zupaß kommt, so wenig wollen die Seegemeinden und ihre Einwohner ansonsten von Verona wissen. Zum Status einer auch nur heimlichen Hauptstadt des Gardasees hat es Verona also niemals gebracht, im Gegenteil: Das urbane Flair der Großstadt Verona, die in den Außenbezirken von Industrie und Kommerzzentren und im Zentrum von der reichen architektonischen Hinterlassenschaft zweier Jahrtausende geprägt ist, und das im wesentlichen von kleinen und kleinsten lokalen Strukturen bestimmte Gardaseeufer sind zwei getrennte Welten geblieben.
Anders als die Einheimischen haben deren Gäste, die Touristen, allerdings oft auch Verona im Sinn, oder wenigstens im Hinterkopf, wenn sie sich am Gardasee aufhalten. Das hat zum einen einen schlicht meteorologischen Grund: So südlich angenehm das Seeklima auch ist – vor einigen Schlechtwettertagen, die sich schlimmstenfalls auch einmal zur langen Regenwoche ausweiten können, ist man so nah am Gebirge nicht einmal im Hochsommer gefeit. Dann bieten die umliegenden Städte die willkommene Gelegenheit, der Tristesse eines verregneten Seetags zu entkommen und aus der Not eine Tugend zu machen, indem man den privaten Horizont erweitert. Sehr weit hat man’s ja nicht zu den urbanen Zentren im Umland. Trient und das ganz zu Unrecht von vielen links liegengelassene Rovereto mit seinem lebendigen Zentrum und seiner sehr sehenswerten historischen Oberstadt im Nordosten des Sees, Mantua im Süden und Padua im Südosten, Brescia im Südwesten – sie alle sind in einer knappen oder einer guten Autostunde leicht zu erreichen. An allererster Stelle ist es aber natürlich das prominente Verona mit den Attraktionen seiner historischen Altstadt, das sehr viele Gardaseereisende schon zu Hause als Nebenziel einplanen.
Den zweiten, für nicht wenige sogar den wichtigsten Grund für einen Abstecher nach Verona liefert natürlich seine Arena, genauer gesagt, die darin alljährlich von Mitte Juni bis Ende August stattfindenden Opernfestspiele. Deutsche Opernfans, die gern auf Nummer Sicher gehen, pflegen ihre Eintrittskarten für die Arena oft Monate vor dem Urlaub zu kaufen beziehungsweise vorzubestellen. Unbedingt nötig ist das nicht; schließlich werden pro Aufführung 15000 Zuschauer eingelassen. (Daß es nicht noch mehr sind, hat sicherheitstechnische Gründe; in Wahrheit bietet die Arena di Verona Platz für fast 30000.) Nach unserer Erfahrung gibt es für praktisch alle Festspielaufführungen – bis auf die ohnehin früh ausgebuchten Premieren – noch an der Abendkasse Tickets, die zudem erheblich billiger sind als die im Vorverkauf erworbenen. Das gilt sogar für die numerierten »Parkettplätze« auf den vor der Bühne aufgestellten Stuhlreihen. Dort ist man dem Bühnengeschehen zwar optisch näher, aber ein Vorteil ist das nicht unbedingt: Zum einen sind die meist ziemlich pompösen Bühnenbilder, die drastischen Kostüme und die legendären Massenauftritte von Chören und Statisten der Arena-Opern eher auf Fernwirkung hin kalkuliert; zum anderen bergen die extremen Dimensionen der Bühne besondere akustische Tücken: Es kommt vor, daß sich zwischen Sängern und Orchester Distanzen von an die 100 Meter auftun, weswegen Töne, die eigentlich gleichzeitig erklingen sollten, infolge kleiner, aber durchaus hörbarer Verzögerungen, voneinander getrennt beim Hörer ankommen.
In weiterer Entfernung, auf den Steinstufen der Arena-Ränge, macht das nicht soviel aus: Hier verschwimmt ohnehin alles zu einem zwar gewöhnungsbedürftigen, aber auf seine Art durchaus reizvollen Mischklang – dem typischen Verona-Sound eben. Vor allem aber lernt man nur dort droben auf den Rängen das kennen, was den Besuch einer Arena-Oper zum einzigartigen Erlebnis macht: die Mixtur aus allabendlichem Volksfest (inklusive Familienpicknick aus mitgebrachten Freßkörben oder Kühltaschen) und Kult-Event. Und keine Angst: Sobald der Dirigent den Taktstock zur Ouvertüre hebt, werden nicht nur die
Weitere Kostenlose Bücher