Gebrauchsanweisung fuer Indien
›faschistisch‹ etikettiert. Es wäre präziser, diesen Bund als eine politische Kraft der Anti-Moderne zu bezeichnen, denn die Ideologie der ›Sangh Parivar‹ erschöpft sich nicht in einer konservativen Geisteshaltung. Sie konstruiert eine neue, eine vereinfachte und homogene Version der vielen Stränge des Hinduismus, um damit in einer globalisierten Welt die eigene Position zu verteidigen und auszubauen. Sie bedient sich des Religiösen als Quelle für eine populäre Rhetorik und Bildersprache, mit deren Hilfe eine Hindu -Identität konzipiert wird, die sich aggressiv über alle im Hinduismus verankerten hybriden und mannigfaltigen Identitäten stülpt.
Der Ursprung dieser Ideologie reicht bis Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Damals wurde der Kerngedanke formuliert: Jede in Indien geborene Person ist per Definition ein Hindu (nur in Indien geborene Götter sind akzeptable Götter). Daraus folgt in einem bizarren Syllogismus, daß jeder Nicht-Hindu-Inder ein Verräter an seinem Vaterland ist, der sich nur retten kann, wenn er zu seinen Hindu-Wurzeln zurückfindet; sollte er sich wehren, muß er zugrunde gehen. »Mit einem Wort, sie müssen aufhören, Ausländer zu sein, sie müssen sich völlig der Hindu-Nation unterwerfen, ohne etwas zu fordern, ohne Privilegien zu verlangen oder gar bevorzugte Behandlung, nicht einmal Bürgerrechte«, formulierte M. S. Golwalkar, der Vordenker der Bewegung, im Jahre 1938.
Dieses ›Gesetz von Golwalkar‹ wird heute von vielen Sympathisanten der ›Sangh Parivar‹ wiederholt. Sie behaupten, die Minderheiten in Indien, vor allem die angeblich von Staats wegen privilegierten Moslems, würden sich ›zuviel herausnehmen‹. Anstatt vor ihren gnädigen Hindu-Herren zu kauern, dankbar um die Gnade der Brosamen, stellen sie forsche Forderungen. »Das wird ihnen eine Lehre sein«, sagte während der Pogrome in Gujarat mein gebildeter und scheinbar friedliebender Hindu-Nachbar. Sein Gewissen hatte verdrängt, daß bei dieser Lehrstunde schwangeren Frauen der Bauch aufgeschlitzt und der Fötus vor ihren Augen erschlagen wurde, daß das Haus einer neunzehnköpfigen Familie überflutet wurde, um sie durch Stromschlag zu töten. (Nur zwei von vielen grauenhaften Beispielen aus Harsh Manders Augenzeugenbericht ›Cry the Beloved Country‹.)
Die ›Sangh Parivar‹ hatte seit langem den Boden in Gujarat bereitet. In jedem Städtchen steht für Hindu-Kinder eine Sakha- Schule offen. Wie die islamischen Madrasas bilden die Sakhas ein paralleles Bildungssystem und vermitteln eine eigene Ideologie. Die Kinder werden mit Weisheiten des heiligen Golwalkar beglückt: »Um die Reinheit der Nation und seiner Kultur zu sichern, schockierte Deutschland die Welt, als es sein Land von Juden säuberte. Nationaler Stolz hat sich auf höchstem Niveau verwirklicht. Deutschland hat gezeigt, wie unmöglich es für grundverschiedene Rassen und Kulturen ist, sich in ein Gemeinsames zu vereinen. Eine nützliche Lehre für uns in Hindustan.« Der Lehrplan reduziert die komplexe Geschichte der Hindu-Muslim-Beziehungen auf eine Passionsgeschichte mit blutrünstigen moslemischen Eindringlingen und wehrlosen hinduistischen Opfern. Kaum verwunderlich, daß die Absolventen solcher Akademien sich ihrer Nation würdig erwiesen, indem sie monatelang zerstörten, plünderten und mordeten.
Es war den Anstiftern ein leichtes, aus dem umfangreichen Lumpenproletariat eine Armee von Teilzeitmördern zu rekrutieren, verführt durch das Versprechen fetter Beute. »Zuerst fuhr ein Lastwagen vorbei, der hetzerische Parolen verbreitete, bald gefolgt von weiteren Lastwagen, aus denen junge Männer stiegen. Sie waren mit hochmodernem Sprengstoff, einfachen Gewehren, Dolchen und Dreizacken bewaffnet. Auch trugen sie Wasserflaschen bei sich, um sich während ihrer Strapazen zu stärken. Die Anführer kommunizierten über Handys mit einer Zentrale. Die Lastwagen transportierten auch Gaszylinder. Ein offensichtlich geübtes Mitglied der Truppe zündete eine Flamme, die bald das ganze Gebäude erfaßte.« (Harsh Mander)
Allerdings empfanden die wohlhabenden Schichten keine Scheu, in ihren schicken Limousinen vorzufahren und die Chance auf eine Drive-In-Plünderei zu nutzen. Der stellvertretende Polizeichef Ahmedabads, der Hauptstadt Gujarats, teilte den EU-Diplomaten mit, daß jede moslemische Firma in von Hindus dominierten Stadtteilen zerstört worden sei. Wenn lamentiert wird, was für schwere
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