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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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19. Jahrhunderts besser in Schuss war, und entdeckte Folgendes: »Der Effect der Arbeit wird erstaunlich vermehrt durch zwei mächtige Hebel: Theilung der Arbeit und Maschinen.« Thaer sorgte dafür, dass die Leute mehr auf ihren dürftig gefüllten Tellern hatten und ein wichtiges regionales Produkt dazugewannen: die Kartoffel. Ohne Thaer wüssten die Brandenburger heute noch nichts von ihrer Leibspeise, und die Spreewälder würden einen wesentlichen Teil ihres Tourismusmarketings entbehren müssen: Quark mit Leinöl und Kartoffeln.
    Auch die Leinsamen führte Thaer im großen Stil ein. Er baute Hülsenfrüchte und Kartoffeln im Wechsel mit Getreide an, was man später Fruchtwechselwirtschaft nannte und als große Entdeckung betrachtete. Damit konnte die alte Dreifelderwirtschaft überwunden werden. Die Kartoffel machte Friedrich Wilhelm III. zum geadelten Grundnahrungsmittel, indem er sie bei Hofe als festen Bestandteil des Speiseplans durchsetzte. Zuvor war die Knollenfrucht vor allem als botanische Kostbarkeit in Gewächshäusern gezogen worden, die adligen Damen schmückten sich mit den Blüten das Haar. Noch Friedrich II. versuchte mithilfe von Gesetzen und verschiedenen Tricks die Bauern davon zu überzeugen, die Erdfrucht anzubauen. Das Mißtrauen gegen die schmutzigen, braunen, harten und geschmacklosen Knollen, die in die Unterwelt hinein-, statt der Sonne entgegen wuchsen, war zu groß. (Einmal soll er ein öffentliches Kartoffel-Schauessen veranstaltet haben zum Beweis, dass die Kartoffel nicht giftig ist.)
    Da Herr Thaer auch die Intensivierung der Viehzucht propagierte und die Massentierhaltung einführen wollte, dürfte er der Urfeind aller heutigen Ökobauern sein, von denen es immer mehr in Brandenburg gibt. Auch Fontane schien Thaer nicht zu mögen. Er behauptete, der Großbauer hätte auf Möglin Schafe hergestellt »die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten«.
    Schafe habe ich in Möglin nicht gesehen. Das Gut ist ein ökologischer Bauernhof. Es liefert die Eier für das hervorragende Frühstück im Schloss Neuhardenberg, einem der Vorzeigehotels in Brandenburg, in dem man auf das goldrote Dotter einer deutsch-französischen Züchtung (alles artgerecht) besonders stolz ist. Ein Ökohof sieht folgendermaßen aus: An der Einfahrt zum Drei- oder Vierseithof steht altes landwirtschaftliches Gerät herum. Es ist entweder zufällig arrangiert und mit Erde bekleckert. Oder es ist gezielt mit Blumenrabatten behängt, die das Alter der Gerätschaften betonen und Vorüberfahrende nostalgisch stimmen sollen. Die ausrangierten Eggen und Forken dienen also entweder dazu, das Holzofenbrot im Hofladen so wirken zu lassen, als sei der Roggen gerade erst geerntet worden. Oder der Hofbetreiber setzt auf die Differenz zwischen gestern und heute und hat ein kleines Agrarmuseum in der Scheune eingerichtet, in dem auch Omas Kinderwiege steht. In der Kühltheke gibt es in jedem Fall Wurst aus der ökologischen Hausschlachtung, Salat in geflochtenen Weidenkörben, der schon etwas länger dort liegt, und Kartoffeln mit einer dicken Erdkruste. An der Tür stehen Stiegen voller Äpfel und das unvermeidliche Regal mit Sanddornsäften, Sanddornlikören, Sanddornweinen, Sanddorntees, Sanddornschokolade, Sanddorneis, Sanddorncremes, Sanddornseifen, Sanddornmarmelade und, damit die Kinder nicht nerven, Sanddorngummibärchen. Der pelzige, säuerlich-bitter schmeckende Sanddorn ist neben dem Holunder das absolute Highlight solcher Hofläden, weshalb es in allen möglichen Zusammensetzungen, in jeder Konsistenz und in fast allen Lebensmitteln vorkommt, wahrscheinlich auch in der Salami.
    Nun gibt es in Brandenburg mehr Apfelbäume als Sanddornbüsche. Wieso also der viele Sanddorn? Die Antwort ist einfach: Die Sanddornschwemme hat wie so vieles im Leben nichts mit der Realität zu tun. Das Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern erklärte die orangefarbene Frucht ebenfalls zur regionalen Besonderheit. Da beide Länder den Sanddorn als »Alleinstellungsmerkmal« für sich beanspruchen, und man zu zweit nicht mehr alleine, sondern ziemlich blöd dasteht, versuchen sie einander mit immer irrwitzigeren Sanddornrezepten zu überbieten. Ehe einer den anderen ausgeschaltet haben wird, wird uns der Wettstreit sicher noch Sanddornzahnpasta und Sanddornschuhcreme bescheren, und ich bin gespannt, wann das erste Sanddornauto die Dorfstraße hinunterrollt.
    Befindet sich der Hofladen in der Niederlausitz, gibt es ein

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