Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
gequälten Grund, und man kann sie sich zu Fuß ansehen. Die Parks sind auch die Genugtuung unterschätzter Seelen. Sie stülpen das nach außen, was die Brandenburger im Dunkel ihres Wesens heimlich sind: verspielt und leicht, offen und weitsichtig, sinnlich und sanft. Die Parks sind schlicht das Gute an Brandenburg. Sie werden geliebt, sind teuer zu erhalten und von unschätzbarem Wert fürs Tourismusmarketing.
Es gibt unzählige Parks. Sie betten nicht nur Schlösser wie Rheinsberg, Branitz oder Sanssouci idyllisch ein. Auch Dörfer haben einen Park. Märkische Adlige wohnten häufig auf dem Dorf. Sie waren oft nichts als bessergestellte Bauern. Um diese Landsitze wenigstens von Bauernhöfen unterscheidbar zu machen, unterhielten die Hausherren hinter dem Gutshaus einen kleinen Park. Das Zähmen der Natur nach den jeweils angesagten Geboten der Schönheit war in Mode geraten, nachdem ihr großer König Friedrich II. sein »Häuschen auf dem Weinberg« mit einem barocken Zier- und Nutzgarten umgeben hatte. Der Ziergarten Sanssouci war nur der Beginn einer groß angelegten Umgestaltung des Wüsten- und Sumpflandes Brandenburg, an dem berühmte Parkgestalter und Gartenkünstler beteiligt waren. Die Wüste forderte sie heraus. Der besondere Reiz erwuchs aus dem Widerstand, den die Landschaft dem Gestaltungswillen entgegenbrachte. Die Schriftstellerin Helene von Nostitz beschreibt das am Beispiel des Bornimer Gartens, den der große Gartengestalter Karl Foerster angelegt hatte, so: »Der Kampf mit dem sandigen Boden der Mark erzeugt eine fortwährende Spannung und Beschwingtheit. Die Pflanzen werden hier nicht gemästet und gepflegt, sondern groß gehungert und groß gedürstet.«
Wer großgehungert wird, muss den Stolz aufs eigene Überleben strahlend ausstellen. Auf den Wiesen vor freiem Himmel werfen die Bäume ihre leuchtenden Kronen auf, ausladende, dicht belaubte Gebilde, in denen sich Kites und altmodische Papierdrachen verfangen und die sich uneingeschränkt entfalten könnten, wären da nicht die Gärtner, die im Herbst die Äste stutzen. Sie machen den prachtvollen Wuchs überhaupt erst möglich. Ein Parkbaum ist eben vor allem das menschliche Idealbild von freier Natur.
Die Besucher
Im Schatten von Ahorn, Buche und Linde treffen nun ganz unterschiedliche Interessengruppen aufeinander. Da sind zunächst die Touristen, die mit Rucksäcken und in praktischen Schuhen auf der Suche nach dem nächsten fotogenen Mamorgott eilig durch die Wiesen laufen. In der Eile unterstützt werden sie von Einheimischen, die den Park als Abkürzung benutzen, um vom einen Ende der Stadt zum anderen zu gelangen, mit Einkaufstüten und Aktentaschen behängt. Schneller als beide Gruppen zusammen sind die Jogger. Die Jogger kennen die genaue Kilometerzahl der Wege, solange sie zu ihrer festen Runde gehören. Jenseits davon liegt unbekanntes Land. Tempel und Statuen am Wegesrand, die Fotomotive der Touristen, sind für sie bloß Anhaltspunkte, um die Zwischenzeit zu nehmen. Die Romantiker unter den Parkbesuchern bleiben versunken davor stehen. Sie untersuchen den Lichteinfall auf nackten Mamorarmen, bewundern, wie sich die Farbe der Blumen kontrastreich zum kürzlich aufgefrischten Weiß des Steins verhält, und werden regelmäßig verbal attackiert. Ehe sie begriffen haben, dass sie der gebellten Aufforderung, nicht so blöd im Weg zu stehen, etwas entgegnen könnten, sind die Jogger längst auf ihre zweite Runde eingeschwenkt.
Manchmal gesellt sich ein Kenner hinzu. Der Kenner hat kürzlich ein Buch über Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, den Chefarchitekten Friedrich des Großen, gelesen oder über Peter Joseph Lenné, den berühmtesten Brandenburger Landschaftsgestalter, und sich vor allem die Zahlen gemerkt. Um sein Spezialistentum auch anzuwenden, überschüttet er den Romantiker sofort mit Lebensdaten und Bauphasen, mit Gewicht und Menge des verbauten Materials, mit der Anzahl der gepflanzten Pflanzen, der Höhenmaße aller Säulen, der Länge der Wege, der Höhe der Kosten, der Menge der Quadratkilometer an gestaltetem Land und der Dauer der zeitgleich geführten Kriege, kurz: Er lässt eine gewaltige Faktenkaskade auf sein Opfer niedergehen. Und wären da nicht die zwei jungen Väter, die sich schwer bepackt und umsprungen von Kindern den Weg entlangschleppten, jeder mit einem Dreirad behängt, Bälle unterm Arm, jeder ein mützenverpacktes Geschöpf auf den Schultern, zwei an der Hand, sodass es dem Kenner für einen
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